Studentin der Hochschule Niederrhein und Kinderdorf leisten Lobbyarbeit für „unbegleitete volljährige Flüchtlinge“
Natascha Dorsch aus Niederkrüchten hat für ihre Bachelorarbeit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach / Krefeld und im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in der Flüchtlingsgruppe des Bethanien Kinder- und Jugenddorfes in Schwalmtal die Situation von unbegleiteten volljährigen Flüchtlingen untersucht.Bethanien Kinder- und Jugenddorf
Immer mehr Flüchtlinge, die minderjährig in unser Land gekommen sind, erreichen die Volljährigkeit und werden damit zu unbegleiteten volljährigen Flüchtlingen: Vor dem Gesetz stehen sie mit der Vollendung des 18. Lebensjahr auf einmal alleine dar. Sie müssen trotz Sprachbarriere, psychischer Störungen auf Grund der Erlebnisse und der Auseinandersetzung mit der eigenen Entwicklung auf einmal alle Prozesse selbst steuern, denn ein Vormund oder ein Betreuer steht ihnen selbst im laufenden Asylverfahren nicht mehr zu. Dass inzwischen bis zu eineinhalb Jahre vergehen, bis ein Flüchtling das Asylverfahren durchlaufen hat, ist keine Seltenheit. Oft haben junge Männer, die im Teeniealter nach Deutschland gekommen sind und nun gerade den 18. Geburtstag gefeiert haben, ihre Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst noch vor sich.
"Die Chance auf Asyl sinkt und von heute auf morgen greifen die verfahrensrechtlichen Regeln für Erwachsene", gibt Natascha Dorsch zu bedenken. "Sie sind nur auf dem Papier erwachsen, doch meist können die jungen Menschen mit Erreichen der Volljährigkeit noch lange nicht ohne Unterstützung ihre Rechte einfordern oder sind fähig, die zugemuteten Prozesse alleine zu regeln. Auch viele deutsche 18-Jährige würde das überfordern."
Die junge Frau aus Niederkrüchten hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach / Krefeld und ihrer Tätigkeit in der Flüchtlingsgruppe des Bethanien Kinder- und Jugenddorfes diese Problematik untersucht und möchte gemeinsam mit ihren Kollegen und Kinderdorfleiter Dr. Klaus Esser Lobbyarbeit leisten: Unbegleitete volljährige Flüchtlinge brauchen besondere Unterstützung, dafür muss sich die Politik einsetzen.
Ihre Erkenntnisse hat sie nicht nur aus Fachliteratur genommen, sondern auch aus dem täglichen Umgang mit den heranwachsenden Flüchtlingen. "In der Gruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF Gruppe) des Bethanien Kinder- und Jugenddorfes betreuen wir teilweise bis zu zwölf junge Männer zum Beispiel aus Somalia, Eritrea, Syrien oder Afghanistan als Jugendhilfeeinrichtung", erzählt die junge Frau. Durch den Wechsel in die Volljährigkeit im laufenden Asylverfahren verschwinden diese aus den Statistiken für unbegleitete Minderjährige des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). "Aber sie sind doch immer noch da. Wir erleben und unterstützen sie jeden Tag auch nach dem Übergang in die Volljährigkeit und stellen fest, wie die jungen Männer versuchen, sich in Deutschland zu integrieren, vor welche Hürden sie gestellt werden und wie sie mit der eigenen Geschichte zu kämpfen haben. Für uns haben die Jungs ein Gesicht."
Individuelle Entwicklungsförderung für benachteiligte junge Leute zu leisten, das kennen die Pädagogen aus ihrer langjährigen Tätigkeit in der Jugendhilfe. Sich aber mit asyl- und aufenthaltsrechtlichen Prozessen auseinanderzusetzen, ist auch für sie, genau wie für viele Vormünder, völlig neu, erklärt Dorsch: "Wir begleiten die Jugendlichen nicht nur zur Anhörung, sondern wir bereiten sie auch darauf vor. Dazu gehört, dass wir die rechtlichen Grundlagen kennen." Bildlich gesehen, sagt die 39-Jährige, gäbe es rund eintausend Faktoren, die letztendlich darüber entscheiden, ob der junge Mensch auch zukünftig in Deutschland bleiben dürfe. Die eine Anhörung vor dem BAMF ist ausschlaggebend dafür, ob die teilweise über Jahre umhergeirrten jungen Menschen als Flüchtling anerkannt werden. Die Anerkennung ist der Dreh- und Angelpunkt der Zukunftsperspektive für jeden Einzelnen. "Für die Jugendlichen, für die wir einstehen, entscheidet die Klärung des Aufenthaltsstatus über den weiteren Verlauf ihres Lebens. Es ist der wichtigste Tag für sie hier in Deutschland", sagt Dorsch. Um ohne juristische Ausbildung das bestmögliche für die Jungs zu erreichen, sind nicht nur Weiterbildungen notwendig, sondern auch vorausschauende Zusammenarbeit mit Vormündern und ein gutfunktionierendes Netzwerk. Dazu gehört zum Beispiel die Kooperation mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern der Refugee Law Clinic Cologne. Dort sitzen anhörungserfahrene Ansprechpartner bei rechtlichen Fragen rund um das Asylverfahren. Regelmäßig besuchen die Mitarbeiter der Bethanien Flüchtlingsgruppe diese Einrichtung, um mit den Mitarbeitern Fälle zu besprechen. Aber auch Lobbyarbeit bei möglichen Arbeitgebern der jungen Männer gehört zur Netzwerkarbeit dazu. "Die Jungs, die bei uns Leben, sind hochmotiviert und größtenteils sehr fleißig und engagiert. Eine Ausbildungsstelle für sie zu finden, ist dennoch sehr schwer", erklärt die Pädagogin. Die Ausbilder zögern, die jungen Flüchtlinge während des laufenden Asylverfahrens als Azubi aufzunehmen. Sie befürchten, dass sie während der Ausbildung abgeschoben werden könnten. Damit wird es den Jugendlichen erschwert, sich in Deutschland zu integrieren. "Junge Flüchtlinge haben nicht die gleichen Chancen wie deutsche Heranwachsende. Für sie ist der Weg in die Selbstständigkeit besonders steinig", sagt die 39-Jährige. "Das müssen wir ändern. Auch das betone ich in meiner Bachelor-Arbeit."
Ihre Arbeit wurde an der Hochschule Niederrhein mit der Note 1,0 bewertet. Sie befasst sich mit den Problemen, den Herausforderungen und Hilfsmöglichkeiten für unbegleitete Volljährige im Asylverfahren. Sie vermittelt aber auch eine Botschaft, für die sich zahlreiche Pädagogen deutschlandweit in der Jugendhilfe in den letzten zwei Jahren stark machen. Ein junger Flüchtling, der ohne erwachsene Begleitung in Deutschland lebt, braucht die volle Unterstützung und Förderung durch die Jugendhilfe. Derzeit bekommen viele der jungen Flüchtlinge diese Hilfe. Aber: die begonnene Arbeit muss intensiv und mit einer persönlichen Begleitung sichergestellt werden und darf mit dem 18. Geburtstag nicht einfach abbrechen, sagen die Pädagogen. Eine sichere Zukunftsperspektive, eine gute sprachliche und schulische Bildung und eine qualifizierte Berufsausbildung braucht jeder junge Mensch, um sich selbst und seine Familie versorgen und in der Gesellschaft leben zu können. Kinderdorfleiter Dr. Klaus Esser betont: "Wenn wir den jungen Flüchtlingen diese Möglichkeiten verweigern, verschenken wir Ressourcen, die uns selbst am Ende zugutekommen und wir unterdrücken Zukunftschancen, die bei den jungen Menschen zu Resignation führen - mit allen Folgewirkungen, die wir nicht erleben möchten."
Quelle: Bethanien Kinderdorf Schwalmtal