Die Caritasarbeit der Gemeinde neu entdeckt
Im Zuge der Neustrukturierung der Pastoral in allen deutschen Diözesen wurden neue Seelsorgeeinheiten geschaffen, die die bisherigen Räume der Pfarren und Gemeinden deutlich vergrößern. Auch im Bistum Aachen hat die Bildung von 71 "Gemeinschaften der Gemeinden" (GdG) zu einer neuen Pastoralstruktur der Kirche am Ort geführt. Viele Selbstverständlichkeiten und gewohnte kirchliche Vollzüge standen und stehen auf dem Prüfstand; neben Abbrüchen und Resignation gibt es auch ermutigende Neuanfänge.
Was bedeutet das für die Caritas der Gemeinde? Es hatte in den vergangenen Jahren den Anschein, dass insbesondere die Caritas in den Gemeinden mit den bisherigen Caritaskreisen und Caritasbeauftragten nicht gut in die neue Struktur der GdG passt. Caritas ist als diakonischer Grundvollzug der Kirche neben Liturgie und Verkündigung jedoch für jede Gemeinde konstitutiv.
Caritasarbeit in den Gemeinden erkunden
Der Vorstand des DiCV hat auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem Fachdienst Gemeindesozialarbeit in den Regionalen Caritasverbänden den Beschluss für ein dreijähriges Projekt im Bistum Aachen gefasst, die Caritasarbeit der Gemeinde zu erkunden und zu inspirieren. Das Projekt "Caritas der Gemeinde", das 2016 begann, bot für zwei GdG die Möglichkeit, innerhalb von drei Jahren mit einer Fachkraft für soziale Arbeit die Caritasarbeit der Gemeinde neu zu entdecken oder vorhandene diakonische Aufbrüche weiter zu entwickeln.
Im Fokus des Projektes standen:
- Caritas als Grundvollzug der Gemeinde - was ermöglicht die GdG, was behindert sie?
- die akuten Nöte der Menschen im Sozialraum - was tut Not für die Menschen?
- soziale Akteure im Sozialraum - können kirchliches und außerkirchliches Engagement zusammenwirken?
- Wie funktioniert das soziale Ehrenamt in den veränderten Strukturen einer GdG?
Insgesamt haben sich bei einer Interessensbekundung 15 GdG gemeldet, von denen sich zehn zur Teilnahme am Projekt schriftlich beworben haben. Die GdG Mönchengladbach Rheydt-West und die GdG Aachen-Kornelimünster / Roetgen wurden von einer Auswahlkommission als Standorte ausgewählt. Die überaus positive Resonanz zeigte, dass die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Caritas der Gemeinde groß ist.
Im Laufe des Projektes wurden die beiden GdG durch den DiCV fachlich unterstützt. Darüber hinaus gab es in enger Abstimmung mit dem Bistum Aachen und den Regionalen Caritasverbänden eine gemeinsame Projekt-Begleitgruppe. Offene Austauschforen zur Bearbeitung und zur Sicherung der Erkenntnisse und weiterer Fragen rund um die Caritas der Gemeinde wurden im Laufe des Projektes angeboten.
Das Projekt kam zu folgenden Ergebnissen:
KIRCHE WIRD DURCH CARITAS. Verkündigung, Liturgie und Diakonie sind gleichwertige Grundvollzüge der Kirche, dennoch ist das diakonische Engagement in vielen Kirchengemeinden schwach ausgeprägt. Damit Nächstenliebe konkret erfahrbar wird und Kirche so neu wachsen kann, muss der Grundvollzug der Diakonie gestärkt werden.
DIAKONISCHES HANDELN SCHAFFT NÄHE. In ihrem sozialen Engagement können Kirchengemeinden den Menschen nahekommen - sowohl den Menschen, auf die das Engagement zielt, als auch denen, die sich sozial engagieren.
SOZIALES ENGAGEMENT STÄRKT DIE GLAUBWÜRDIGKEIT DER KIRCHE. Jesus begegnete in seinem Wirken konkret Menschen und ihren Nöten. Wenn die Kirche in ihrem diakonischen Handeln an die Ränder der Gesellschaft geht, gewinnt sie an Glaubwürdigkeit.
DIAKONIE BRAUCHT EHRENAMT. Diakonisches Handeln ist vielfach institutionalisiert und professionalisiert, doch darf es sich darin nicht erschöpfen. Vielmehr braucht es Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und die durch dieses Engagement Nächstenliebe erfahrbar machen.
SOZIALRÄUME SIND NAHRÄUME. Sie können zur Heimat werden, wenn die Menschen ihr Lebensumfeld gemeinsam nach ihren Bedürfnissen und Wünschen gestalten können. Hierdurch entstehen gelebte Gemeinschaften, in denen die Menschen einander nahe sind.
DIE MENSCHEN STEHEN IM MITTELPUNKT. Ihre Bedürfnisse und Wünsche sind der Maßstab, an dem sich lebenswerte Sozialräume messen lassen. Für Kirchengemeinden bedeutet dies einen Perspektivwechsel: Es geht nicht mehr darum, den umgebenden Raum auf sich zu beziehen, um die Menschen an sich zu binden, sondern darum, Raum zu geben für die Menschen im Sozialraum. In ihm können Kirchengemeinden Teil der Gemeinschaft werden und diese mitgestalten.
KIRCHE BRAUCHT EINE VERSTÄRKTE GEH-STRUKTUR. Kirchliche Angebote sind in weiten Teilen durch eine Komm-Struktur geprägt. Um auch die Menschen zu erreichen, die kirchliche Angebote nicht annehmen, bedarf es einer Stärkung der Geh-Struktur. Die Kirchengemeinden müssen auf die Menschen zugehen und den Dialog suchen, um gemeinsam lebenswerte Sozialräume zu schaffen.
VERNETZUNG UND RESSOURCENORIENTIERUNG ERHÖHEN DIE WIRKSAMKEIT UND DEN WIRKUNGSKREIS. Das Einbeziehen und Vernetzen der Akteure im Sozialraum und das Nutzen ihrer jeweiligen Ressourcen ermöglichen ein zielgerichtetes und wirksames Arbeiten auf breiter Basis.
DIAKONISCHES HANDELN BRAUCHT GESICHTER. Für die Gestaltung von lebenswerten Sozialräumen braucht es Personen, die auf die Menschen zugehen, ihre Bedürfnisse und Nöte wahrnehmen, ihre Wünsche und Hoffnungen aufnehmen und auf diese Weise Perspektiven für bessere Lebensumstände eröffnen.
MULTIPROFESSIONALITÄT SCHAFFT EINEN MEHRWERT. Die Zusammenarbeit von Pastoral und Caritas ermöglicht es, die spirituellen wie auch die materiellen Bedürfnisse von Menschen professionell aufzunehmen und zu bearbeiten. Auf diese Weise wird zum einen der Zusammenhalt im Sozialraum gestärkt, zum anderen können Caritas und Pastoral voneinander lernen.
NEUE WEGE ERFORDERN MUT. In vielen Kirchengemeinden sind Vorbehalte gegenüber einer gesellschaftlichen Öffnung zu spüren. Will Kirche auch in Zukunft eine gesellschaftliche Relevanz haben, muss sie sich zu den Menschen hin öffnen - vor allem denen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, wie auch zu den Menschen, die der Kirche distanziert gegenüberstehen. Dies erfordert den Mut, neue Wege zu gehen.
CARITASARBEIT IN DEN GEMEINDEN BEDARF DER FINANZIERUNG. Sozialräumliches Arbeiten basiert wesentlich auf Beziehungsarbeit, die einen langen Atem braucht. Das Projekt "Caritas der Gemeinde" war zeitlich befristet. Seine Erfolge dürfen jedoch nicht mit dem Auslaufen der Finanzierung fallen. Es braucht daher eine auskömmliche und langfristige Finanzierung entsprechender Ansätze, um verlässliche Strukturen der Caritasarbeit in den Gemeinden aufzubauen.
Zu dem Projekt ist eine Broschüre erschienen, die der Caritasverband für das Bistum Aachen herausgegeben hat. Sie informiert über Aufbau, Ziele und Ergebnisse des Projektes. Nachfolgend steht sie als PDF-Datei zum Download bereit. Dort ist ebenfalls ein PDF eines Flyers zur Projekt-Ausschreibung zu finden.