Mit ganz viel Herz
Ein Moment kann alles verändern: ein schwerer Unfall oder ein Hirninfarkt, nach dem nicht mehr ist wie es war, die Diagnose einer unheilbaren Krankheit wie ALS oder Multiple Sklerose.
Betroffene brauchen nun besondere Pflege, Fürsorge und Begleitung, und jemanden, der sie und ihre Angehörigen dabei unterstützt, den Alltag gut zu gestalten und dem Leben so viel Würde und Qualität zu geben, wie möglich. Ein Ort, an dem dies mit viel Engagement und Herzblut geschieht, ist die Intensive Langzeitpflege (ILS) in "Haus Hörn" in Aachen. Hier leben 26 schwerkranke Menschen, einige mit unheilbaren neurologischen Erkrankungen, andere im "Wachkoma" nach einer Schädel-Hirn-Verletzung oder über eine Trachealkanüle in der Luftröhre dauerbeatmet. Menschen, die zumeist schon einen langen Weg durch Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen hinter sich haben und hier eine Form von Zuhause gefunden haben.
Entstanden ist die Intensive Langzeitpflege vor 15 Jahren, nachdem die Kostenträger die Kriterien für die Betreuung in einem Hospiz neu bewertet hatten. Solche Einrichtungen sollten in erster Linie Menschen mit einer zum Tode führenden Erkrankung vorbehalten sein, der Aufenthalt auf wenige Wochen begrenzt sein. Auf einen Teil der damaligen Bewohner im Hospiz "Haus Hörn" trafen diese Kriterien nicht zu, einen Ort, an dem sie gut versorgt und begleitet werden, brauchten sie aber dennoch. Daraus und aus den besonderen Bedürfnissen dieser Menschen entwickelten die Verantwortlichen ein eigenes, neues Angebot, die ILS. Die habe sich seitdem immer weiter entwickelt, sagt die Leiterin Jeanette Curth, die selbst seit zwölf Jahren hier tätig ist. Der erste Gedanke, das erste Ziel, sei es gewesen, den Patienten mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen einen individuell gestalteten Alltag zu ermöglichen, der ihrer Lebenssituation entspricht. Dazu gehört zum Beispiel eine Tagestruktur zu schaffen, unter anderem über die gemeinsamen Mahlzeiten mit Angehörigen und Mitarbeitern, an denen auch die teilhaben, die nicht selbst essen und über eine Sonde ernährt werden.
Eine gute Lebensgemeinschaft, trotz unterschiedlicher Bedürfnisse
Das ist nicht immer ganz einfach, sind die individuellen Bedürfnisse der Bewohner doch - je nach ihrer Erkrankung - ganz unterschiedlich. "Wir haben drei Gruppen: Menschen mit einer neurologischen Erkrankung, die sich weiter verschlechtern wird, die aber so lange wie möglich am Leben teilhaben sollen, dauerbeatmete Patienten, die ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben, weil sie von einem Gerät abhängig sind, das permanent Strom benötigt, sowie Wachkomapatienten, die eine ganz eigene Mimik, Sprache und Körperhaltung haben und die wir versuchen, über alle zur Verfügung stehenden Kanäle zu stimulieren", erläutert Jeannette Curth. Darüber habe sich dann auch schnell der Reha-Gedanke entwickelt, zu schauen, wie die Bewohner stabilisiert und dabei unterstützt werden können, Fähigkeiten wieder neu zu erlernen. Der Aspekt "Teilhabe am Leben" hat über die Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen. "Früher wollten wir vor allem ein Zuhause für die Menschen sein, die zu uns kommen. Wohl und zuhause sollen sie sich nach wie vor fühlen, aber wir wollen ihnen auch neue Möglichkeiten eröffnen", sagt sie.
Immer wieder große und kleine besondere Erlebnisse möglich machen
Dazu zählt auch, bei Bewohnern, deren gesundheitliche Situation sich durch entsprechende Therapie verbessern lässt, zu schauen, ob nicht irgendwann doch wieder ein Leben zuhause oder im betreuten Wohnen möglich werden kann. Dieser Ansatz ist zeit- und personalintensiv. Weshalb Jeanette Curth froh ist, dass es ihnen 2014 gelungen ist, die Krankenkassen mit ihrem Konzept zu überzeugen, ihnen vier weitere Stellen zu bewilligen. Darüber und über ein hochmotiviertes Team sind Angebote möglich geworden, die noch vor Jahren undenkbar gewesen wären. So seien sie beispielsweise gemeinsam mit Angehörigen und Bewohnern aus anderen Einrichtungen in "Haus Hörn" mit einem Bus ins "Phantasialand" gefahren oder hätten im vergangenen Jahr zum ersten Mal mit einigen Bewohnern für einige Tage in Heimbach Urlaub gemacht. "Das ist mit viel Aufwand verbunden, aber es sind auch ganz besondere Erlebnisse." Erlebnisse, von denen alle in der Einrichtung noch lange zehren. Doch es sind nicht nur diese großen Aktionen, die die Bewohner - und mit ihnen ihre Angehörigen - am "normalen" Leben teilhaben lassen. Das können auch kleine Dinge sein, wie der Besuch einer Familienfeier, ein Ausflug in den Garten oder in die Stadt. "Wir freuen uns immer, wenn wir das gemeinsame Erleben einer schönen Sache für unsere Bewohner hinbekommen", sagt Jeanette Curth. Dazu gehört seit einigen Jahren auch Musiktherapie, die der "Förderverein Musiktherapie für Menschen im Wachkoma in der Region Aachen" möglich macht. Dafür wurde ein spezieller Klangsessel, sowie Klangschalen angeschafft. Außerdem wird in der Gruppe zur Gitarre gesungen. Das sei eine ganz tolle und spannende Arbeit, gerade auch für die Angehörigen, die anfangs häufig skeptisch seien: "Das bekommt er/sie doch gar nicht mit". Weit gefehlt, wie Jeanette Curth erklärt. Musik erreiche Menschen auf eine ganz eigene Weise, wodurch gerade auch bei Wachkomapatienten viel möglich werde.
All das ginge nicht ohne das multiprofessionelle Team aus Pflegekräften, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Musiktherapeuten und Sozialpädagogen, das in der Intensiven Langzeitpflege von "Haus Hörn" tätig ist und auf das Leiterin Jeanette Curth große Stücke hält. Das in der Form aber auch erst habe zusammenwachsen müssen: "Pflege tickt anders als Therapie und die wieder anders als Sozialpädagogik, aber alle haben ein gemeinsames Ziel", sagt die Chefin. Gerade dieses Zusammenspiel verschiedener Kompetenzen mache die Arbeit so spannend. Dass alle das außerdem mit ganz viel Herz tun, kommt den Bewohnern, aber auch deren Angehörigen zugute. Familie und Freunde sind in der ILS von "Haus Hörn" eng mit eingebunden, können jederzeit zu Besuch kommen, nehmen an Festen und besonderen Angeboten teil. Auch sie brauchen eine gute Begleitung und Unterstützung, um mit der veränderten Lebenssituation fertigwerden zu können und wieder zu so etwas wie Alltag zurückzufinden. Um sie dabei noch besser begleiten zu können, möchte Jeanette Curth gerne die Unterstützung durch Ehrenamtliche ausbauen und für die Zukunft eine Selbsthilfegruppe auf den Weg bringen.
Mehr Infos und Kontakt: www.haus-hoern.de
von Andrea Thomas