Sommertour in Düren: Caritas diskutierte mit Bundestagskandidaten über Tagespflege und den sozialen Wohnungsbau
Wenn ein Mensch im Alter immer mehr Unterstützung braucht, sind häufig zunächst einmal die Angehörigen gefragt. Nicht immer allerdings greifen solche familiären Netze oder sie tragen nicht. Die meisten wünschen sich aber, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu können. Hier greifen neben ambulanten Pflegediensten auch teilstationäre Einrichtungen der Tagespflege. Sie unterstützen und fördern die Gäste und entlasten deren Angehörigen im Alltag.
Die Dürener Caritas engagiert sich stark in diesem Bereich, weil sie hier einen wichtigen gesellschaftlichen Bedarf sieht. Inzwischen hat sie neun Tagespflegeeinrichtungen aufgebaut und will diesen Weg weitergehen. Allerdings müssen dafür einige politische Weichenstellungen erfolgen. Der Aufbau solcher Strukturen erfordert einen langen Atem des Trägers, aber auch verlässliche Rahmenbedingungen. Die Caritas-Sommertour bot Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens und den beiden Dürener Caritasvorständen Dirk Hucko und Marcus Mauel einen willkommenen Anlass, über dieses Thema mit zwei Bundestagskandidaten zu reden. Zu Gast waren mit Thomas Rachel MdB (CDU) und Dietmar Nietan MdB (SPD) zwei aufgeschlossene, verbindliche Gesprächspartner, die interessiert nachhakten und engagiert mitdiskutierten.
Ort des Austausches: die Tagespflege St. Johanna, stadtnah direkt am Adenauerpark gelegen, ein schöner Ort für Gäste und Mitarbeitende. Das Team um Leiterin Angelika Nießen weiß nur zu gut, was die Tagespflege für die Angehörigen an Entlastung bringt. Es erfährt außerdem Tag für Tag, wie stark die Tagespflege die Lebensqualität der älteren Menschen hebt. Wenn es einen Beweis dafür gebraucht hätte, würde Angelika Nießen die Einschränkungen der Corona-Zeit anführen. Die Einrichtung musste vorübergehend schließen und die Familien waren von jetzt auf gleich in größten Nöten, Beruf, Privatleben und Sorgearbeit unter einen Hut zu bringen. Und auf die Gäste selbst hin stellte das Team fest, dass viele von ihnen über die isolierten Monate deutlich abgebaut, ja sogar psychische Leiden entwickelt hatten. Tagespflege ist in zahlreichen Fällen für die Beteiligten unersetzlich, wenn sie einen würdigen Alltag sichern möchten.
Was Angelika Nießen, aber auch Stephan Jentgens, Dirk Hucko und Marcus Mauel große Sorgen bereitet, sind Fehlstellungen und Fehlanreize, die durch rechtliche Vorgaben für Pflegekosten, Ausbildung und Arbeitsorganisation entstehen könnten. Zwar sind manche Dinge jüngst durch den Gesetzgeber angepackt worden, aber nach Auffassung der Caritas muss noch mehr geschehen, jedoch mit Bedacht. Im begrüßenswerten Bestreben, dass Leistungen nicht mehrfach abgerechnet werden können, könnte nämlich der Alltag der Familien aus dem Blick geraten. Neben der Tagespflege benötigen diese nämlich häufig auch die Unterstützung ambulanter Pflegedienste, zum Beispiel morgens und abends. Aber die Leistungen der Pflegekassen für die Inanspruchnahme der Tagespflege sollen nach den ursprünglichen Plänen von Gesundheitsminister Spahn zur Pflegereform, die nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung möglicherweise wieder aufgegriffen werden, so beschnitten und letztlich gekappt werden, dass ein Tagespflegegast beispielsweise statt 500 Euro Eigenleistung 1.500 Euro im Monat für die Tagespflege erbringen muss (Rechenbeispiel für einen Tagespflegegast mit Pflegegrad 4) oder aber nur noch zwei Tage pro Woche weniger die Tagespflege in Anspruch nehmen kann. Marcus Mauel hat das mehrfach durchgerechnet und konnte es nicht glauben. Aber es stimmt. Einen solchen finanziellen Aufwand können sich jedoch die wenigsten Familien leisten, die eine solche Unterstützung benötigen. Zu einer solchen Fehlstellung darf es nach Ansicht der Caritas nicht kommen, damit die betroffenen Menschen nicht durchs Rost fallen.
Ausbildung in der Pflege und die formalen Hürden
Die nächste große Baustelle ist der Fachkräftemangel, der die Pflege insgesamt erfasst hat und dabei die Tagespflege nicht auslässt. Es kommen weniger ausgebildete Kolleginnen und Kollegen nach, als belastungs- oder altersbedingt ausscheiden. Mehrere Faktoren nehmen hier Einfluss, an denen politisch geschraubt werden kann, zum Beispiel die Zulassungsbedingungen für die Ausbildung oder die mangelhafte Differenzierung und Durchlässigkeit von Berufsbildern innerhalb der Pflege. Im aktuellen Ausbildungsjahr konnte die Caritas Düren-Jülich 36 Auszubildende zur Pflegefachkraft neu einstellen, musste aber auch fast 100 motivierten Bewerberinnen und Bewerbern eine Absage erteilen, weil diese die Zulassungsvoraussetzungen für die dreijährige Pflegefachkraftausbildung nicht erfüllen. Hier braucht es eine für diese jungen Menschen geeignete Alternative zur Ausbildung zur Pflegefachkraft und auch eine refinanzierte Einsatzmöglichkeiten in den Pflegeeinrichtungen, um dieses Potential für die Pflege zu erhalten. Dirk Hucko und Marcus Mauel fordern vor diesem Hintergrund eine weitere Öffnung der Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildungen und darüber hinaus eine flexiblere Ausgestaltung der beruflichen Einsatz- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Im Bereich der Pflege zählen vor allem auch menschliche Qualitäten, welche die abgelehnten jungen Menschen mitbrächten.
Insgesamt braucht es eine differenzierte Entwicklung der Berufsbilder, der Arbeitsteilung, der Arbeitsorganisation, welche die realen Bedarfe im pflegerischen Alltag abdeckt, betonte Jürgen Spicher, Fachreferent vom Diözesancaritasverband. Als Folie für diese Veränderungen benannte Stephan Jentgens, die Arbeit in der Pflege an die jeweilige Lebensphase der Beschäftigten auszurichten. So kann der Beruf attraktiver werden, mehr Menschen für sich gewinnen und Beschäftigte in den Einrichtungen halten. Zum Beispiel sind in der Familienphase mit kleinen Kindern die zeitlichen Möglichkeiten der Kolleginnen und Kollegen andere als dann, wenn die Sprösslinge aus dem Gröbsten heraus sind. Später kommen wiederum andere Grenzen ins Spiel, die mit dem eigenen Älterwerden zu tun haben. Eventuell hat sich eine Kollegin oder ein Kollege in dieser Zeit zudem selbst um alte Eltern zu kümmern. Auf all das sollte die interne Organisation Antworten haben, auch Aufstiegschancen bieten, quer durch die Tätigkeiten, aber auch in der verbandlichen Landschaft. Aber diese flexiblere Ausgestaltung der Zusammenarbeit sollte von der Refinanzierung gedeckt sein und nicht durch eine überbordende Bürokratie belastet werden.
Ein dritter Themenblock, den die Runde mit Thomas Rachel und Dietmar Nietan besprach, war die Digitalisierung, welche der Staat im Bereich der sozialen Infrastruktur anstrebt. Auf Basis des Onlinezugangsgesetzes sollen bis Ende 2023 etwa 600 Dienste digital erreichbar und unterstützt werden. Die Caritas hat viele Fragen auf die Qualität der Plattform hin, die dort entsteht. Wird es Flickschusterei oder eine gemeinsame Grundlage für kommunale, gemeinnützige und private Anbieter? Wie müssen die Einrichtungen der Caritas auf diese digitalisierten Strukturen hin ihre Abläufe anpassen? Wie sichert man den Zugang für benachteiligte Bevölkerungsgruppen ab? Die beiden Bundestagskandidaten versprachen, diese Fragen wie die anderen ebenso mit nach Berlin zu nehmen. Wie von Dietmar Nietan eingefordert, haben sie nun eine Hausaufgabenliste von der Caritas im Gepäck für die nächste Legislaturperiode. Wie weit diese Korrektur- und Reformbedarfe durch den Koalitionsvertrag der neuen Regierung und durch gesetzgeberische Aktivitäten bearbeitet werden, wird die freie Wohlfahrtspflege genau im Auge behalten.
Die Probleme am Wohnungsmarkt bergen politischen Sprengstoff
Ein weiteres Thema der Caritas-Sommertour in Düren: der soziale Wohnungsbau. Er findet fast nicht mehr statt. Zugleich laufen viele Wohnungen aus der Sozialbindung. Die Folge: Immer mehr Menschen zahlen Mieten, die für sie zu hoch sind. Was kann die Politik tun, um die Entwicklung zu wenden? Wie kann sie gemeinnützige Träger wie die Caritas unterstützen, die sozial bauen möchten? Themen der Caritas im Gespräch mit Bundestagskandidaten in Kreuzau.
Der demografische Wandel stellt die deutsche Gesellschaft vor große Herausforderungen. Erst recht, wenn man diesen Trend mit der Entwicklung des Immobilienmarktes zusammen sieht. Der Bedarf etwa an seniorengerechten, barrierearmen Wohnungen wächst unaufhörlich. Aber der Markt funktioniert hier längst nicht mehr: Es gibt deutlich zu wenig Wohnraum, der ein gutes Leben im Alter unterstützt. Und dann sind die Mieten auch noch so hoch, dass die Wohnungen zum Beispiel für Menschen mit kleinen Renten oder in der Grundsicherung nicht erschwinglich sind.
Eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe, in die sich die Dürener Caritas mit eigenen Projekten und Einrichtungen einbringt. Sie weiß von daher sehr gut, wie die Probleme beim sozialen Wohnungsbau aussehen. So lag es angesichts der politischen Sprengkraft des Themas für Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens und die beiden Dürener Caritasvorstände Dirk Hucko und Marcus Mauel nahe, darüber mit Bundestagskandidierenden im Rahmen der Caritas-Sommertour zu sprechen. Zu Gast als aufmerksame Zuhörende und engagiert Mitdiskutierende: Dietmar Nietan MdB (SPD), Chris Andrä (Bündnis 90/Die Grünen) und Katharina Willkomm MdB (FDP).
Der Ort des Austausches konnte nicht besser gewählt sein. Im Wohnpark Friedenau hat die Dürener Caritas gezeigt, was geht, wenn man beherzt an die Aufgabe herangeht, sozialen Wohnungsbau zu betreiben. Sie hat dort, 500 Meter vom Ortskern von Kreuzau, ein kleines Quartier für ältere und kranke Menschen entwickelt. Die Wohneinheiten sind mit den Diensten und Hilfen einer Tagespflege und einer ambulanten Pflegestation vernetzt, so dass die Menschen lange in eigenen vier Wänden leben können. Neben diesem Betreuten Wohnen bietet die Caritas im Wohnpark Friedenau auch stationäre Pflegewohnplätze an. Allen Menschen in diesem Quartier kommt eine Infrastruktur zugute, die auf kurzem Weg Beratung, Begegnung und Anregung ermöglicht.
Mitten in diesem Ensemble, das vorbildlich ein würdiges Leben von älteren und kranken Menschen unterstützt, zeigten nun Dirk Hucko und Marcus Mauel die fatale Fehlentwicklung des Immobilienmarktes auf. Ein kurzer Blick auf die inserierten Wohnungen in der Dürener Region zeigt, was überall im Bistum Aachen gilt: Bei fast keiner Neuvermietung reicht der Deckel der Sozialmiete von 5,70 Euro. Die Mieten liegen deutlich darüber. Die Folge benannte Stephan Jentgens: Inzwischen wenden 40 Prozent der Haushalte mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens für die Wohnkosten auf. Wenn dieser Schwellenwert überschritten wird, fehlt den betroffenen Menschen und ihren Familien das Geld für andere wichtige Dinge, bis hin zu gesundem Essen. Trotzdem leben sie häufig bereits in schlecht isolierten, zu kleinen, laut gelegenen, manchmal feuchten Wohnungen, weil anderer Wohnraum in der Preislage, die sie finanzieren können, nicht verfügbar ist.
Aktuelle Förder- und Rahmenbedingungen wenig attraktiv für gemeinnützige Träger
Die Ursache kennen alle Beteiligten schon lange: Der soziale Wohnungsbau ist in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gegen die Wand gelaufen. Alte Wohnungen laufen aus der Sozialbindung, neue werden kaum noch errichtet. Die aktuellen Rahmen- und Förderbedingungen verunmöglichen auch motivierten gemeinnützigen Trägern wie der Caritas das Bauen. Marcus Mauel kann das minutiös vorrechnen. Allein die Baukosten sind so gestiegen, dass selbst bei minimaler Ausstattung pro Quadratmeter 8,50 Euro Miete verlangt werden müssen, damit am Ende eine schwarze Null für den Bauträger herauskommt. Private Investoren erwarten für ihren Einsatz noch einen Gewinn, aber ein solcher Mittelabfluss ist im sozialen Wohnungsbau absolut nicht mehr zu verwirklichen.
Die Ursachen sind vielfältig, die Stellschrauben auch. Je nach politischer Gewichtung rücken andere Instrumente in den Blick. Die Frage zum Beispiel, ob eher marktwirtschaftliche Anreizmechanismen oder regulierende Vorgaben greifen, wird unterschiedlich beantwortet. Ein Faktor, der Kosten und Mieten in die Höhe treibt, sind die Preise für Grund und Boden. Hier könnten Kommunen sozialen Wohnungsbau fördern, indem sie zweckgebunden Flächen günstig veräußern. Auch haben sie Instrumente gegen Spekulation in der Hand, von denen sie stärker Gebrauch machen könnten. Dass so etwas geht, zeigt die Stadt Hamburg, die viel Geld in die Hand nimmt, um sozialen Wohnungsbau zu fördern. Bund und Länder sind in der Verantwortung, die Kommunen finanziell zu ertüchtigen und verlässliche Rahmenbedingungen auch für bauwillige gemeinnützige Träger zu schaffen.
Die Zeit läuft hier weg, denn der Weg von einer Willenserklärung, sozial zu bauen, bis zum fertig realisierten Projekt erstreckt sich im überbürokratisierten Deutschland über einige Jahre. Der Bedarf ist bereits jetzt nicht gedeckt und die Situation wird sich mit der Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge noch einmal verschärfen. Ein dringender Appell also an alle, die im nächsten Bundestag und in der nächsten Bundesregierung Verantwortung tragen. Die Kandidierenden nahmen die Wahrnehmungen und Einschätzungen der Caritas mit. Die Wohnungspolitik wird sicherlich bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Vielleicht inspiriert das gute Beispiel des Wohnparks Friedenaus, wohin die Reise bei Quartiersentwicklungen gehen kann.
Autor: Thomas Hohenschue
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen