„Solidarität ist Teil eines lebendigen Netzwerks von Werten und Haltungen“
Frau Kohlwey, Solidarität ist ein zentraler Begriff für die Caritas. Was bedeutet Solidarität?
Anna Kohlwey Ganz kurz gesagt: Solidarität bedeutet, füreinander einzustehen, vor allem, wenn Menschen in Not sind oder am Rand der Gesellschaft stehen.
Welche Rolle spielt der Begriff der Solidarität für die Caritas?
Kohlwey Solidarität ist für die Caritas ein ganz zentraler Begriff. Das gilt auch gerade in der Doppelfunktion, die Caritas erfüllt. Sie tritt zum einen als Akteur des Sozialstaates auf. In ihm trägt die Gemeinschaft Verantwortung füreinander. Die Caritas ist zum anderen aber auch kirchlicher Akteur und will die Liebe Gottes, die Botschaft Jesu verständlich machen und vorleben. Caritas macht sich stark für Menschen in Situationen der Schwäche. Und dabei sind alle Menschen im Blick, unabhängig von Herkunft, Status oder Lebensumständen. Solidarität soll dabei weniger Aushängeschild als Auftrag sein. Sie ist das Herzstück unseres Handelns.
Solidarität ist eines von mehreren Prinzipien der Christlichen Soziallehre. Welche Rolle spielt Solidarität da?
Anna Kohlwey ist in der Geschäftsstelle des Caritasverbandes für das Bistum Aachen Fachreferentin für theologische Grundsatzfragen.DiCV Aachen
Kohlwey Solidarität prägt die Rolle des Anwalts für Not und Hilfssituationen. Ein solidarischer Blick stellt jene Menschen in die Mitte, die sonst nicht gesehen oder allein gelassen werden. Aber Solidarität allein kann auch schnell gefährlich werden, wenn wir nämlich paternalistisch oder bevormundend werden.
Und da beugen die anderen Prinzipien christlicher Soziallehre vor?
Kohlwey Genau. Neben der Solidarität gibt es noch die Prinzipien der Personalität, des Gemeinwohls und der Subsidiarität. Sie übernehmen alle eine wichtige, vor allem gleichwertige Rolle und Funktion im Wechselspiel.
Dann dröseln wir diese Prinzipien doch einmal auf. Beginnen wir mit der Personalität.
Kohlwey Die Personalität achtet die unantastbare Würde und Einzigartigkeiten jedes einzelnen Menschen: Solidarisch sein bedeutet also in dem Zusammenhang, jemanden so zu unterstützen, dass er seine Freiheit und Würde selbstbestimmt gestalten kann.
Eng damit verbunden ist die Subsidiarität. Sie bewahrt davor, Solidarität als Almosen oder Abhängigkeit von "oben" zu verstehen. Subsidiarität fordert, dass Menschen und Gemeinschaften dort unterstützt werden, wo sie Hilfe brauchen, aber immer so, dass ihre eigene Handlungsfähigkeit gestärkt wird und die Unterstützung im besten Falle abgebaut werden kann.
Welche Rolle spielt nun das Gemeinwohl?
Kohlwey Das Gemeinwohl macht deutlich, dass Solidarität nie exklusiv sein darf: Es geht immer darum, das Wohl aller Menschen zu beachten und nicht gegeneinander auszuspielen, um manche Menschen besser zu stellen als andere.
Was bedeutet das nun für die Arbeit der Caritas?
Kohlwey Solidarität steht also nie als isoliertes Prinzip da, sondern ist Teil eines lebendigen Netzwerks von Werten und Haltungen. Diese Prinzipien können in der täglichen Arbeit als Kompass dienen: Sie helfen uns, komplexe Herausforderungen einzuordnen, Kernprobleme zu verstehen und Handlungsoptionen zu erarbeiten und zu reflektieren. Das Zusammenspiel hilft dabei, dass die Arbeit der Caritas ganzheitlich menschenorientiert gestaltet wird.
Die Fragen stellte Christian Heidrich.
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen