Menschen ein Zuhause schaffen
Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, Wohnungen sind viel zu oft in schlechtem Zustand, die Preise für Wohnraum steigen kontinuierlich und der Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt nimmt zu - unter dem Slogan "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" greift die Caritas-Jahreskampagne 2018 einen sozialen Missstand auf, der inzwischen weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht. Die Caritas kritisiert, dass die Politik das Thema Wohnungsbau, vor allem den sozialen Wohnungsbau, über Jahre vernachlässigt hat. Zugleich sehen sich Caritas und Kirche als Eigentümer von Grundstücken und Wohnungen aber auch in der Verantwortung, einen eigenen Beitrag zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu leisten. Der Caritasverband für das Bistum Aachen hat deshalb zu einer Sommerwerkstatt ins Haus der Caritas eingeladen. Am 24. Juli 2018 trafen sich Vertreter von Caritas und Kirche zu einem fachlichen Austausch.
"Wohnst du noch oder lebst du schon?" - auf diesem Werbeslogan einer schwedischen Möbelkette baute Andreas Wittrahm, Leiter des Bereichs Facharbeit und Sozialpolitik beim Caritasverband für das Bistum Aachen, seinen anthropologisch-ethischen Impuls zum Thema Wohnen auf. Mit einer Wohnung verbinden Menschen vor allem eine vertraute Umgebung, einen Rückzugsort und Selbstbestimmung. Die Wohnung stellt den Mittel- und Ruhepunkt im Alltag dar. Letztlich, so Wittrahm, kann der Mensch nur als Wohnender sein Wesen erfüllen und in vollem Umfang Mensch sein. Für die Wohnqualität ist konstitutiv, dass die Autonomie und Kontrolle über die Wohnung, die Privatheit, die persönliche Gestaltungsmöglichkeit und die Möglichkeit der Gastgeberschaft gewährleistet sind. Eine Wohnung zu haben ist eine notwendige Voraussetzung für psychische Gesundheit, für Teilhabe, für gelingendes Leben - so die Kernbotschaft des Impulses.
In einem ersten Problemaufriss zeigten drei Interviews mit Sozialarbeiterinnen auf, vor welchen Schwierigkeiten die Klientinnen und Klienten der Caritas auf der Suche nach Wohnraum stehen:
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Elisabeth Mankertz vom Caritasverband für die Region Kempen-Viersen berichtete aus der Schuldnerberatung, dass Schuldnerinnen und Schuldner vor allem wegen ihrer schlechten Schufa-Auskünfte große Schwierigkeiten haben, geeigneten Wohnraum zu finden - potenzielle Vermieter fürchten Zahlungsschwierigkeiten. Da Wohnraum - auch in ländlichen Gebieten - knapp ist, haben Schuldnerinnen und Schuldner auf dem Wohnungsmarkt nur geringe Chancen.
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Barbara Quadflieg vom Sozialdienst katholischer Frauen in Eschweiler vertrat die Allgemeine Sozialberatung, die von der Kommune als "Wohnraumsicherungsstelle" gefördert wird. In die Beratung kommen sehr häufig Menschen, die SGB-II- und -XII-Leistungen beziehen. Für sie besteht die Problematik darin, angemessenen Wohnraum zu finden, dessen Kosten vom Sozialleistungsträger akzeptiert werden. Deutlich wird die Wohnungsknappheit darin, dass zwischen den Klientinnen und Klienten mittlerweile ein regelrechter Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt stattfindet.
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Ursula Braun-Kurzmann vom Sozialdienst katholischer Frauen in Aachen sprach über die Arbeit mit psychisch kranken Menschen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen. Aufgrund ihrer Auffälligkeiten hatten diese Klientinnen und Klienten bei der Suche nach Wohnraum immer schon Schwierigkeiten - heute finden sie in der angespannten Marktlage kaum mehr Wohnungen. Die gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer sind deshalb sehr darum bemüht, den Wohnraum zu erhalten. Ursula Braun-Kurzmann erläuterte zudem die schwierige Situation von Frauen im Frauenhaus, die ebenfalls große Probleme haben, Wohnungen zu finden. Weil sich Vermieter häufig scheuen, den Frauen mit ihren Kindern Wohnraum zu vermieten, verlängern sich die Aufenthalte im Frauenhaus oft unnötig. Es steht nicht mehr die Begleitung und Stabilisierung der Frauen im Vordergrund, vielmehr müssen diese in der Einrichtung bleiben, weil sie schlicht keine Wohnung bekommen.
Nach dem Problemaufriss wurde an fünf Thementischen aufgezeigt, was Caritas und Kirche für die Schaffung von Wohnraum tun:
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Was geschieht mit kirchlichen Immobilien, die nicht mehr pastoral genutzt werden? Dieser Frage widmen sich Frank Rutte-Merkel und Bernhard Stenmans vom Bischöflichen Generalvikariat Aachen im kirchlichen Immobilienmanagement. Rund 1.000 Wohnungen vermieten die Kirchengemeinden im Bistum Aachen, die unter anderem 625 geflüchteten Menschen ein Zuhause bieten. Zudem haben die Gemeinden rund 1.600 Grundstücke im Erbbaurecht vergeben. Wohnraum bieten außerdem ehemalige Kirchen, die zu Wohnungen umgebaut wurden, so in Mönchengladbach-Pesch, Krefeld und Mönchengladbach.
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Den Umbau eines Kirchengebäudes plant auch der Caritasverband Region Mönchengladbach. 23 seniorengerechte Wohnungen und eine Tagespflege sollen in der entwidmeten Kirche St. Johannes in Rheydt-West entstehen, berichtete Geschäftsführer Frank Polixa an seinem Thementisch. Bereits seit Jahren ist die Caritas in Mönchengladbach in der Bereitstellung und Schaffung von Wohnraum engagiert. Aktuell vermietet sie 90 Wohnungen zu niedrigen Mietpreisen, wovon vor allem einkommensschwache Personen und Gruppen profitieren. Eine wirtschaftliche Rendite strebt der Caritasverband mit seinem Engagement nicht an, wohl aber eine soziale. Zu diesem Zweck kümmern sich zwei gemeinwesenorientierte Sozialarbeiterinnen intensiv um die Belange der Mieter.
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Gemeinwesenorientiert ist auch ein Angebot des Caritasverbandes für die Region Kempen-Viersen, das auf die Schaffung eines lebenswerten Wohnumfeldes zielt. Der Treffpunkt Höhenstraße in Viersen-Süchteln, den Leiterin Manuela Nazemi-Bogda an ihrem Thementisch vorstellte, ist ein Ort der Begegnung und des Miteinanders. Er liegt in der Wohnanlage der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft für den Kreis Viersen (GWG) und wird von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin und einem ehrenamtlichen Team aus Bewohnerinnen und Bewohner getragen. Die Finanzierung der Arbeit im Treffpunkt wird wesentlich von der GWG getragen. Die Kooperation von Bewohnerinnen und Bewohner, Caritas und Wohnungsgesellschaft zeigt: In gemeinsamer Anstrengung kann ein lebenswertes Wohnumfeld geschaffen werden.
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Über die Unterstützung bei der Suche und die Bereitstellung von Wohnraum für Menschen mit Behinderung berichteten Nicole Braun und Rahel Skowron vom Vinzenz-Heim Aachen. Frau Braun, zuständig u.a. für das Immobilienmanagement, berichtete über den hohen Bedarf an barrierefreiem Wohnraum. Das Vinzenz-Heim hat deshalb entschieden, nicht nur Wohnungen zur Untervermietung an Menschen mit Behinderung anzumieten, sondern Wohnraum selbst zu bauen. Hierbei wurde die Komplexität der Aufgabe deutlich: Die Finanzierung des Wohnraums durch Kostenträger ist defizitär, die Verwaltung der Immobilien aufwändig und anspruchsvoll. Frau Skowron berichtete über die Erfahrungen bei der Begleitung von Menschen mit Behinderung bei der Wohnungssuche. Die Arbeit, die im Rahmen der Begleitenden Dienste erfolgt, ist sehr zeitintensiv. Am Thementisch wurde sowohl die Bedeutung der Trennung zwischen Vermietung und Betreuung deutlich als auch die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen. Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den Anforderungen einer sinnvollen Quartiersentwicklung.
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Wesentlicher Bestandteil der Jahreskampagne "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" sind öffentlichkeitswirksame Aktionen - so etwa das "Zimmer auf der Straße", bekannt durch die Plakate, Flyer und Postkarten zur Kampagne. Diese Idee hat der Caritasverband für die Region Aachen-Stadt und Aachen-Land aufgegriffen und ein Badezimmer samt Badewanne und Toilette in der Aachener Fußgängerzone installiert. Das Badezimmer auf der Straße lockte viele Neugierige und Interessierte an und brachte Passantinnen und Passanten in Berührung mit der Caritas-Kampagne. Bernhard Verholen, Vorstand des Caritasverbandes, berichtete über die erfolgreiche Aktion und bewertete zugleich nüchtern, dass man mit derartigen Aktionen nicht den Anspruch auf konkrete Problemlösungen verbinden dürfe. Wohl aber gelinge es, auf die gesellschaftliche Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, aufmerksam zu machen.
Die Sommerwerkstatt zur Caritas-Jahreskampagne 2018 hat gezeigt: Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Und auch wenn der Missstand mangelnden Wohnraums in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht, so sind die Klientinnen und Klienten der Caritas doch in besonderem Maße von dem Problem betroffen, angemessenen Wohnraum zu finden. Die Arbeit an den Thementischen der Sommerwerkstatt hat verdeutlicht: Es bleibt viel zu tun, doch Caritas und Kirche im Bistum Aachen sind bereits auf einem guten Weg.
Weitere Informationen zur Jahreskampagne erhalten Sie hier.
Caritasverband für das Bistum Aachen e.V.