Mehr Aufwand, weniger Geld: So geht es nicht weiter mit den Betreuungsvereinen
Schon gleich zu Beginn des Rundgangs durch die Erkelenzer Innenstadt markierten alle Beteiligten, wo sie stehen. Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens sagte, er sehe durchaus die schwere See, in der die öffentlichen Finanzen geraten seien. Und doch könne diese nicht das Argument sein, die Menschen allein zu lassen, die auf gesetzliche Betreuung angewiesen seien. Soziale Sicherheit und Stabilität trügen ihrerseits zur Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland bei, betonte Jentgens.
Das Problem skizzierten die Fachleute aus dem gastgebenden Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM) und Bettina Hoffe vom Diözesancaritasverband. Das neue Betreuungsrecht rückt die Selbstbestimmung der Betreuten in den Mittelpunkt. Wer das ernst nimmt, braucht mehr Zeit. An zwei Beispielen lässt sich das gut nachvollziehen: Die Entscheidungsfindung des Betreuten soll unterstützt werden. Und so viele Aspekte seines Lebens wie möglich soll er selbst regeln.
Hohe Anforderungen an Betreuerinnen und Betreuer, die das nicht hauptberuflich machen. Betreuungsvereine qualifizieren, beraten und begleiten Ehrenamtliche. Zugleich führen sie selbst hauptberufliche Betreuungen durch. Und hier kehrt sich der Segen der neuen gesetzlichen Vorgaben in einen Fluch um. Die Kosten laufen den Vereinen wegen tariflicher Erhöhungen und Inflation davon, da die Regelsätze das letzte Mal vor vier Jahren erhöht wurden. Diese wachsende Lücke lässt sich nicht durch immer mehr Betreuungen schließen, die Vereine steuern in die Insolvenz.
Der Hilferuf sei in Berlin angekommen, betonte der Bundestagsabgeordnete Wilfried Oellers (CDU). In seiner Fraktion ist er der Fachpolitiker für dieses Feld. Die Diskussion läuft auf den Punkt hinaus, die Regelsätze früher zu prüfen als bislang vereinbart, damit sie angepasst werden, berichtete er. Mit Sorge beobachtet Wilfried Oellers, dass erste Betreuungsvereine aufgeben. Er teilte die Einschätzung der Caritas-Fachleute, dass damit eine wertvolle soziale Infrastruktur dauerhaft verloren geht.
Beim Rundgangs durch Erkelenz verdeutlichten Gesprächspartner, was gesetzliche Betreuung für die Gesellschaft leistet. Beim Auftakt in der SKFM-Geschäftsstelle begrüßten Vorsitzender Werner Jackels und Geschäftsführerin Karoline Steffens als weiteren Gast aus der Politik Thomas Schnelle, Mitglied des Landtags (CDU). Und als geschätzter Kooperationspartner beteiligte sich Wilhelm Schulze, Leiter des Amtes für Altershilfen und Sozialplanung beim Kreis Heinsberg.
Bei der Caritas-Sommertour in Erkelenz "Auf den Spuren einer Betreuung" trafen (v.r.) Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens, der Landtagsabgeordnete Thomas Schnelle, der Bundestagsabgeordnete Wilfried Oellers, SKFM-Geschäftsführerin Karoline Steffens (2.v.l.) sowie weitere Vertreter des SKFM vor dem Amtsgericht mit Richter Karsten Lauber (l.) zusammen, der Betreuungen prüft.Thomas Hohenschue
Als solcher nahm er gerne die positive Rückmeldung von Karsten Lauber entgegen. Der Richter am Amtsgericht Erkelenz, der fortlaufend Betreuungen prüft, einrichtet und beendet, würdigte die Zusammenarbeit mit der Betreuungsstelle. Auf ihre Bewertungen könne er sich verlassen. Und er schätzt die Betreuungsvereine als qualifizierte Partner. Er bestätigte den Eindruck, dass immer stärker psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen, sowie Demenz das Feld der Betreuten prägen.
Wie wichtig vor diesem Hintergrund ortsnahe Netzwerke ineinandergreifender Hilfen sind, verdeutlichte ein weiterer Austausch. Jann Habbinga, Verwaltungsdirektor der Hermann-Josef-Stiftung, und Julia Herbertz, Leiterin des Sozialdienstes am Erkelenzer Krankenhaus, betonten die existenzielle Bedeutung der kurzen Wege für Betreute und Angehörige. Es müsse oft rasch gehen und das so unkompliziert wie möglich, wussten sie aus dem Alltag. Das dürfe nicht verlorengehen.
Das gilt auch für die Begleitung der Ehrenamtlichen, die zu einem Großteil aus den Familien der Betreuten stammen. Immer wieder stoßen Angehörige an ihre Grenzen, berichtete Gabi Kals-Deußen, die den Wohnverbund Erkelenz der Lebenshilfe leitet. Gute Begleitung durch Betreuungsvereine kann da entlasten. Ehrenamtliche wie Silvia Matties ohne familiäre Beziehung zum Betreuten gibt es wenige. Sie erzählte, wie sie die Selbstbestimmung ihrer Betreuten fördert und umsetzt.
Das letzte Wort gehörte einer ehemalig betreuten Frau. Sie hat ihr Leben dank der fachkundigen Begleitung ordnen können, Schwierigkeiten gemeistert, immer mehr Unabhängigkeit gewonnen. Der Erfolg manifestiert sich jetzt in der gerichtlich verfügten Aufhebung der Betreuung. So ein gutes Ende ist nicht der Regelfall, aber diese Biografie motiviert. Sie berichtet, dass das neue Betreuungsrecht in die richtige Richtung geht. Umso wichtiger ist es, dass jetzt zeitnah die Regelsätze angepasst werden.
Autor: Thomas Hohenschue
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen