Jugendhilfe muss sich einmischen
"Von der Empörung zum Empowerment. Wie politisch darf, soll, muss Jugendhilfe sein?", lautete das Thema des Fachforums in Simonskall in der Eifel. Die Referentinnen und Referenten wiesen darauf hin, dass nicht nur die Berufsethik die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Erziehungshilfe dazu anhalte, sich gegen Diskriminierung zu stemmen. Auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz verpflichte die Jugendhilfe, junge Menschen bei der Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen.
"Von der Empörung zum Empowerment. Wie politisch darf, soll, muss Jugendhilfe sein?“, lautete das Thema des Fachforums 2019 der AGkE im Bistum Aachen in Simonskall in der Eifel. Das Foto zeigt den Vorstand mit den Referenten, links den Poetry Slammer Florian Stein.DiCV Aachen
In neuen politische Bewegungen bringen junge Menschen wieder deutlicher ihre Empörung über die Zerstörung der Umwelt zum Ausdruck und fordern politische Konsequenzen für Umwelt- und Klimaschutz. Sie fordern mehr Mitsprache für ihre Generation. Gleichzeitig sind rechtspopulistische Parteien im Aufwind und können immer mehr junge Menschen für ihre Parolen gewinnen. Auch hier beschreibt Empörung die Empfindungen der Menschen. Die Kritik, die viele dieser Heranwachsenden dabei zugleich am sogenannten Establishment in Politik und Gesellschaft üben, ist auch davon beeinflusst, dass sich junge Menschen generell nicht hinreichend gefragt und einbezogen fühlen.
Alle Teilnehmer des Forums waren sich einig: Jugendhilfe ist gefragt, partizipatorische Konzepte zu entwickeln, und Kindern und Jugendlichen Raum zu bieten zur Auseinandersetzung mit persönlichen Handlungsoptionen und eigener Wirksamkeit.
Zu diesen Lern- und Erfahrungsfeldern wurde gearbeitet:
Demokratie lernen mit diskriminierungskritischen Perspektiven.
Das Foto vom Fachforum 2019 der AGkE im Bistum Aachen zeigt (v.l.) die Referenten Sarah Heinrich (Grüne Jugend), Jana Heckert und Hans-Peter Killguss.DiCV Aachen
Diskriminierung und Rassismus gibt es nach Auffassung von Hans-Peter Killguss und Ilja Gold (Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln) nicht nur auf großen dramatischen Schauplätzen und am rechten Rand sondern sind schon in der Mitte der Gesellschaft angelegt und begegnen jeden von uns im Alltag. Mit der Haltung, wie ich Menschen begegne, mit ihren Bedürfnissen und Anliegen der anderen umgehe, eröffne ich Möglichkeiten gemeinschaftsfördernder und diskriminierungskritischer Perspektiven oder verweigere sie. Unsere Privilegien, tradierte Haltungen und Einstellungen stellen dabei oft unbewusste Hindernisse dar. In der erzieherischen Arbeit kommt es deshalb darauf an, diese verdeckten Mechanismen zu benennen und Handlungsalternativen zu eröffnen.
Von Hartz IV zur Grünen Jugend
Mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte konnte Sarah Heinrich die TeilnehmerInnen überzeugen. Sie und ihre Mutter lebten von Hartz IV und haben die bittere Erfahrung fehlender gesellschaftlicher Teilhabe durchlebt. Für Sarah Heinrich ist - gefördert durch ihren Sozialkundelehrer - die Erkenntnis gewachsen, dass sie nicht "schuld" ist an ihrer Situation, sondern dass diese Lebensbedingungen politisch bedingt und verursacht sind. In der Grünen Jugend hat sie den Raum gefunden, um sich politisch zu engagieren. Hier erfährt sie, zusammen mit Gleichgesinnten, die Mühsal aber auch die Wirksamkeit gemeinsamer Interessenvertretung.
Freiheit - Gleichheit - Solidarität Zahnloser Tiger oder gelebte Utopie?
Maja Tölke, Referentin für Jugendpolitik bei der sozialistischen Jugend Deutschlands -Die Falken, stellte den Jugendverband vor, dessen Arbeitsschwerpunkte und Aufgaben im Bereich der politischen und sozialen, außerschulischen Bildung liege. Die Stärkung der demokratischen Gesellschaft durch Partizipation und Emanzipation von Kindern und Jugendlichen sei dabei vorrangiges Ziel. Die Angebotspalette reiche von Seminaren und Projektarbeit bis zu Kinder und Jugendgruppenarbeit und Zeltlagern. Alle diese Angebote seien nicht nur für Mitglieder,sondern stünden allen Interessierten zur Verfügung.
Demokratische Bildung in der Jugendhilfe - alte Hüte, die öfter getragen werden sollten
Jana Heckert, Einrichtungsleiterin einer stationären Jugendhilfeeinrichtung und Multiplikatorin für Demokratie in der Heimerziehung, hat mit den Berufskolleginnen und -kollegen an Leitlinien einer partizipativen Jugendhilfe gearbeitet. Auch hier geht es nicht ohne den sensiblen Blick auf die gewachsenen Einstellungen der Einrichtungen und den institutionellen Machtstrukturen. Kinder und Jugendliche benötigen für ihre Bereitschaft zur demokratischen Aushandlung die Gewissheit und das Vertrauen, dass die Pädagogen der Einrichtung Macht abgeben wollen und Kinder und Jugendliche befähigen, damit verantwortlich umzugehen.
Künstlerisch begleitet wurde der Fachtag durch das Impro Theater Jugendclub Düsseldorf Theatersport Düsseldorf und den Poetry Slammer Florian Stein, der die Beiträge der Beteiligten poetisch zusammenfasste und auf den Punkt brachte:
Resümee
Am Ende stehen Ergebnisse,
vielleicht nicht auf einem Whiteboard zu erfassen,
am Ende weiß man mit Sicherheit,
dass alles hier geht nur zusammen.
Wir haben gegessen und gesprochen
und literweise Kaffee getrunken,
haben neue Perspektiven entdeckt,
uns zum Umdenken durchgerungen.
Vielleicht steht auch am Ende,
gar kein Ende, sondern mehr,
ein Anfang, eine Richtung,
etwas Neues, etwas mehr
Gefühl, dass wir hier alle,
an einer großen Sache arbeiten,
und zum Schluss, gewiss die Gewissheit,
wir sind am stärksten, halten wir zusammen.
(Florian Stein)
Ergebnisse und Erkenntnisse der Fachtagung
- Die Einrichtungen der Jugendhilfe bieten vielfältige Möglichkeiten und Formen, Demokratie zu lernen und zu leben.
- Kein Mensch und keine Einrichtung kann unpolitisch sein. Die persönliche Haltung der Pädagoginnen und Pädagogen prägen das Klima für Demokratie, Mitbestimmung und Selbstwirksamkeit in ihrem Umfeld und der Einrichtung.
- Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen immer wieder den Raum, ihre Haltungen zu reflektieren und Empörung als Energie für Unrechtsempfinden zu fördern. Sie haben vielfältige Möglichkeiten, dass Kinder und Jugendliche ihr Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit überwinden und ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrnehmen und nutzen können.
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen