Jugend von heute ist vor allem eines: unterschiedlich
Peter van Horrick (l.), Sozialpädagoge in Schloss Dilborn die Jugendhilfe, gab beim Fachforum der AGkE als David Ghetto mit seinem Rap-Partner MC Beilage eine Kostprobe seines Könnens. DiCV Aachen
Das Wertespektrum junger Menschen umfasse heute sowohl postmaterielle Werte wie Gemeinwohl, Gesundheit, Bildung, Vielfalt, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit als auch materielle Werte wie Geld, Besitz, Lebensstandard, Luxus, Status, sagte die Wissenschaftlerin. Entscheidend dabei sei aber: Nicht allen sei alles gleich wichtig im Leben, und nicht jeder Wert werde von allen gleichermaßen hervorgehoben und gelebt. "Jugend ist vor allem eins: unterschiedlich", sagte Jessen.
Bei aller Unterschiedlichkeit: Hoffnungen und Sorgen haben alle Jugendliche. Das zeigte eindrucksvoll der Film von Benjamin Kühn. Er hatte mit Jugendlichen aus vier Erziehungshilfeeinrichtungen über ihre Ängste und Träume gesprochen. Heraus kam, dass in der Lebenswelt der Jugendlichen der Wunsch nach einer intakten Familie, einem guten Beruf und einer friedvollen Welt ganz oben steht.
Die kulturellen Lebenswelten von Erwachsenen und Jugendlichen sind zuweilen sehr unterschiedlich. Damit die Erwachsenen das Lebensgefühl junger Menschen unmittelbar nachspüren konnten, boten David Ghetto + Co eine Rap Performance mit eigenen, anrührenden Texten und den typischen Hip Hop Rhythmen. David Ghetto, im realen Leben Peter van Horrick und als Sozialpädagoge in Schloss Dilborn die Jugendhilfe tätig, hat sein Hobby in seinen Beruf integriert. "Interesse zeigen ist das A und O bei Jugendlichen" sagt van Horrick. Und er gab den Kollegen aus der Kinder- und Jugendhilfe den Rat: "Nicht die Rap Texte direkt verdammen, sondern versuchen zu verstehen was Jugendliche fasziniert. Die Rap Kultur lebt vom Glauben an die eigene Stärke. Das ist positiv und sollte im Kontakt mit den Jugendlichen genutzt werden."
Einen weiteren Aspekt jugendlicher Lebenswelt beleuchtete Hamiyet Aydin, eine ehemalige Bewohnerin einer stationären Jugendhilfeeinrichtung: Was geschieht mit jungen Erwachsenen nach der Jugendhilfe? Wie meistern sie - die Care Leaver - die Ausbildung, wie gelingt der Einstieg ins Berufsleben, wenn ihnen die materiellen und emotionalen Ressourcen nicht (mehr) zur Verfügung stehen? Aydin, engagiert im Careleaver e.V., einem Netzwerk junger Erwachsener mit Jugendhilfevergangenheit, sprach über ihre persönlichen Erfahrungen. Sie berichtete, welche Hindernisse ehemaligen Heim- und Pflegekindern in Studium und Berufsausbildung im Weg stehen. Den Jugendhilfeexperten wurde deutlich: Es fehlen pädagogische Konzepte für die Zeit nach der Jugendhilfe. Hier bestehe Handlungsbedarf, so die einhellige Meinung.
Die Beratungsstellen, die mit traumatisierten Jugendlichen arbeiten, sind eine Anlaufstelle für alle Jugendlichen, unabhängig davon, aus welchem Land sie kommen. Stefan Hoffmanns, Rike Palm-Zinkler und Dr. Anja Novoszel gaben Einblicke in die traumasensible Arbeit der Erziehungsberatungsstelle Viersen. Auch bei diesem Zugang zu jugendlichen Lebenswelten gehe es vor allem um das Verstehen. Eltern und Lehrer begriffen oft nicht, warum Jugendliche so seien wie sie sind, z.B. wenn sie aggressiv, launisch, selbstverletzend, unzugänglich, verschlossen sind. Diesem Verhalten liegt nach Angaben der Referenten oft eine Bindungsstörung zugrunde, d.h. eine Lebensorientierung ist infrage gestellt oder verloren gegangen.
Dr. Klaus Esser, Leiter vom Bethanien Kinderdorf in Schwalmtal und Vorstandsmitglied der AGkE im Bistum Aachen, sagte, das Fachforum der AGkE entwickele sich weiter zu einem Fachtreffen der Jugendhilfe-Praxis des gesamten Bistums, das sich damit befasse, zu verstehen, wie Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen zu verstehen und zu erreichen seien. "Dazu hat das Fachforum weitere Facetten geliefert", so Esser. Esser ist zugleich Vorsitzender des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE).