Im Gesundheitswesen müssen Verantwortliche mit eskalierendem Druck umgehen
Jann Habbinga ist Verwaltungsdirektor der Hermann-Josef-Stiftung in Erkelenz und Mitglied des Vorstandes der Diözesanarbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser im Bistum Aachen.Thomas Hohenschue
Wer Jann Habbinga trifft, der erlebt eine Führungskraft, die ihre Arbeit ausgesprochen gerne macht. Für ihn ist die Arbeit mit einem hohen Sinn aufgeladen. Die Stiftung, deren Geschicke er mit dem Verwaltungsrat leitet, leistet einen wichtigen Dienst an den Menschen der Stadt und Region. Zu ihr gehören ein Krankenhaus, ein Altenheim, ein Hospiz, ein ambulanter Pflegedienst und eine Pflegeschule. Diese Einrichtungen mit ihren engagierten Mitarbeitenden in ihrer Entwicklung zu begleiten, macht Habbinga großen Spaß und fühlt sich richtig an.
Dann kam Corona und die ganze Welt stand Kopf. Das hat was mit den Menschen gemacht, viele sind erschöpft und müde, beobachtet der Verwaltungsdirektor. Und doch registriert Habbinga mit großer Zufriedenheit und ein wenig Stolz, dass die meisten Mitarbeitenden an Bord bleiben. Dass der Fachkräftemangel ganz an den Gesundheitseinrichtungen der Stiftung vorbeiginge, wäre angesichts des demografischen Wandels übertrieben zu sagen. Aber die Personaldecke wirkt unter dem Strich stabil, alles Stammpersonal, von Honorarkräften in einzelnen ärztlichen Abteilungen abgesehen.
Noch beim Auslaufen der Pandemie mit ihren menschlichen, organisatorischen und finanziellen Belastungen stießen Krieg und Inflation hinzu. Das bedeutete für eine Stiftung, die sich auf die Fahne schreibt, ihre Mitarbeitenden tariflich zu beschäftigen, eine echte Herausforderung. Denn die erheblichen Kostensteigerungen bei Beschaffung, Betrieb und Tarifen können Krankenhäuser nicht einfach auf die Behandlungspreise umlegen. An dieser Stelle fühlt sich Jann Habbinga von Krankenkassen und anderen Kostenträgern im Regen stehen gelassen. Gerade weil die Hermann-Josef-Stiftung so tariftreu handelt, laufen ihr mangels Kompensation die Kosten weg.
Das Umfeld für Einrichtungen im Gesundheitswesen verschlechtert sich schon lange. Der Verwaltungsdirektor kritisiert die Praxisferne vieler Vorgaben. Gut gemeint sei nicht immer gut gemacht, sagt er mit Blick auf die wachsende Bindung von personellen Kapazitäten für Dinge, die nichts mit der eigentlichen Sorge- und Beziehungsarbeit am Patienten oder Bewohner zu tun haben. Beispielhaft nennt Jann Habbinga Zertifizierungsverfahren und Dokumentationspflichten. Am Papier hängt die Zukunft so mancher medizinischen Dienste. Die Meinung des Direktors: Haltung regelt mehr als tausend Vorschriften. Habbinga plädiert für eine Aufsicht mit unangemeldeten Besuchen, wie es in der stationären Altenhilfe üblich ist.
Was allerdings dem Fass den Boden ausschlägt bei der Belastung aller, die Verantwortung für Krankenhäuser tragen, ist die aktuelle Debatte um eine Krankenhausreform, gepaart mit praxisfernen Entwicklungen bei Tarifverträgen. Jann Habbinga sieht ein System gegen die Wand fahren. Er vermisst bei vielen Debattenbeiträgen den Respekt vor der Erfahrung und der Leistung der Menschen, die sich tagtäglich in der Gesundheitsversorgung engagieren. Bei sich und bei Kolleginnen und Kollegen anderer Häuser beobachtet er eine wachsende Rat- und Hilflosigkeit, denn es ist noch absolut unklar, wohin die Reise geht, und zugleich öffnet sich vielerorts die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen, werden Rücklagen aufgebraucht. Jann Habbinga hat für diese Tatenlosigkeit von Politik und Kostenträgern kein Verständnis.
Die aktuelle Situation sieht so aus, dass er nicht weiß, nicht wissen kann, was die nächste richtige Entscheidung ist, zum Beispiel über Investitionen. Denn es kann sein, dass genau diese Entscheidung ihm je nach Ausrichtung der künftigen Finanzierung auf die Füße fällt. Diese diffuse Lage betrifft alle Häuser im Land gleichermaßen. Sie baut einen Druck auf, der alle Verantwortlichen an ihre Grenzen führt, manche auch über ihre Grenzen. Jann Habbinga bekennt, dass die Sorgen auch ihm zuweilen den Schlaf rauben. Denn er möchte allen Mitarbeitenden weiter in die Augen schauen können, ihren persönlichen Einsatz würdigen und wertschätzen, einen guten Rahmen und die Qualität halten, im Team des Hauses Entwicklungen vorantreiben.
Von Natur aus verkraftet der Verwaltungsdirektor viel, das Durchbeißen in herausfordernden Situationen liegt dem ehemaligen Profivolleyballer. Kraft geben dem 44-Jährigen in erster Linie die Menschen, mit ihn umgeben: die Familie, mit der er in Erkelenz lebt, die motivierte Belegschaft der Einrichtungen, Leitungskräfte und Kuratoriumsmitglieder, die Verantwortung mittragen. Wer ihn besucht, sieht ganz bildlich viele Herzen, die ihm zufliegen, wertschätzende Zeichnungen und Collagen. Das alles trägt ihn, zusammen mit der Sinnstiftung, die ihn mit seiner Aufgabe verbindet. Und doch hilft das auf Dauer wenig, wenn nicht Vernunft, Verantwortung und Respekt in die politische Debatte zurückkehren.
Zitat
"Nach der Pandemie hatten wir keine Verschnaufpause. Das macht etwas mit den Menschen. Davon nehme ich mich nicht aus."
Youtube: https://youtube.com/shorts/N4ZSIhHvZEc?feature=share
Autor: Thomas Hohenschue