Familien dabei unterstützen, gemeinsam ihr Leben mit oder nach Krebs zu gestalten
Um Neues auf den Weg zu bringen, braucht es Überzeugungstäterinnen, die eine Vision haben und sie hartnäckig verfolgen. Im Fall von Dr. med. Andrea Petermann-Meyer und Petra Stoschek ist es die Vorstellung, eine Lücke in der Versorgung von Familien zu schließen, die ein Leben mit Krebs gestalten müssen. Die Psychoonkologin vom Uniklinikum Aachen und die Sozialarbeiterin vom Regionalen Caritasverband Aachen bauen beharrlich die Modellierung der Hilfe aus, damit sie immer besser wirkt und als Blaupause für den Gesetzgeber dienen kann.
Gemeinsam für eine verbesserte Versorgung von Familien (v.l.n.r.): Inken Nebel-Merkens, Petra Stoschek, Anna Lenzen und Dr. med. Andrea Petermann-Meyer.Thomas Hohenschue
Ausgangspunkt ist in der Regel ein aufmerksames und achtsames Umfeld der betroffenen Familie. Wenn Ärzte und Pflegekräfte, Mitarbeitende in Jugendämtern, Schulsozialarbeiter, Lehrkräfte, Nachbarn oder andere wahrnehmen, dass eine Familie mit einem erkrankten Elternteil belastet oder überlastet ist, können sie ihr die Familien-Scouts als Unterstützung anbieten. Mit Einverständnis der Familie geben sie die Kontaktdaten an die Kontaktstelle der Familien-Scouts beim Centrum für integrierte Onkologie am Uniklinikum Aachen weiter.
Diese Starthilfe durch ein Umfeld, das Veränderungen in einer Familie oder bei Kindern und Jugendlichen sensibel beobachtet und bewertet, ist unersetzlich. Denn betroffene Familien haben häufig wenig Zeit und Kraft, sich um Hilfen zu kümmern. Zum einen bindet der Alltag mit Erkrankung und Therapien alle Energie. Zum anderen ist das Hilfesystem komplex und mit etlichen bürokratischen Barrieren behaftet. Das heißt, je belastender eine Situation sich entwickelt, umso unsichtbarer wird die Familie. Das birgt die Gefahr, allein zu bleiben.
Wenn erstmal der Kontakt hergestellt ist, gehen die Scouts proaktiv auf die Familie zu. Ganz unkompliziert kommen sie, falls gewünscht, nach Hause. Dieser aufsuchende Ansatz ist erfolgreicher, als Sprechstunden anzubieten, berichtet Andrea Petermann-Meyer. Und er gibt einen besseren Aufschluss über die Situation der Familie, um sie bestmöglich zu begleiten, ergänzt Anna Lenzen. Die gelernte Krankenschwester und Sozialarbeiterin ist wie Petra Stoschek ein Familien-Scout. Das Team wird komplettiert durch Katrin Müller und Christel Adoni.
Gut gebrieft dank der psychoonkologischen Expertise der Ärztin aus dem Uniklinikum, können sich die Familien-Scouts ganz auf die individuelle Situation der Familie konzentrieren. Sie loten aus, welche Ressourcen diese Familie hat, was ihr Umfeld beitragen kann, welche Leistungen von Krankenkassen, Kommunen und anderen Kostenträgern ihr zustehen. Die Scouts helfen auf diesem Weg, Klarheit und Orientierung in der belastenden Situation zu entwickeln. Es gibt kein Patentrezept, das Familienleben mit Krebs zu gestalten. Jede Familie wählt den eigenen Weg.
Das Wichtigste für das Wohl der Beteiligten ist, das Leben und Zusammenleben mit der Erkrankung besprechbar zu machen. Denn oft behindern Tabus, Verdrängungen, vermeintliches Schonen vor Ängsten und Sorgen eine offene Aussprache. Aber nur diese hilft der Familie, ihren Alltag so zu gestalten, dass er für alle tragfähig ist. Anna Lenzen liebt Familiengespräche, weil sie so oft die Lähmung auflösen, die Überforderung bewirkt, und Familien wachsen lässt. Kinder sitzen mit am Tisch, ihr Blick auf den Alltag inspiriert und hilft den Eltern, weiterzugehen.
Durch die gemeinsame Suche nach Lösungen in Alltagsfragen verändert sich häufig auch der Blick auf das Familienleben mit Krebs. Nicht nur das ist im Blick, was nicht mehr geht, sondern auch das, was weiter geht oder neu geht. So stellt ein Kind fest: "Aber kuscheln geht noch." Oder es sagt: "Es ist schön, dass Papa so viel zu Hause ist." Das zieht den Schleier der Verzweiflung und Trauer ein wenig beiseite und macht unerwartete Lebensqualität möglich. Familie, Freunde, Nachbarn können ihre Beziehungen mit klarem Blick weiter gestalten.
Für die Initiatorinnen sind die Familien-Scouts eine idealtypische Umsetzung der Idee, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Sicherlich bringen die Expertinnen ihr Fachwissen ein, erschließen strukturelle und finanzielle Unterstützungsleistungen, begleiten beim Papierkrieg mit Kostenträgern. Auch haben sie für alle Emotionen in der Familie ein offenes Ohr. Aber die wichtigste Leistung erbringt die Familie selbst, sie wählt den Weg, den sie geht. Nicht immer wäre es der, den die Scouts selbst nähmen, aber sie respektieren die Entscheidungen.
Der medizinische Fortschritt in der Krebsmedizin führt erfreulicherweise dazu, dass sich die Gesellschaft neu die Frage stellen muss, wie betroffene Familien auf längere Sicht hin finanziell und strukturell unterstützt werden sollen und können. Denn bisher fallen sie nach einer gewissen Zeit aus dem Hilferaster heraus. Die Familien-Scouts zeigen mit ihrer alltagsnahen, ressourcenorientierten Begleitung und Beratung die Alternative auf. Möglich macht das eine übergreifende Kooperation, die sich im Aachener Netzwerk "Brückenschlag" manifestiert.
Auch hier führen das Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik und der Regionale Caritasverband die Feder, wie die Leiterin der Stabsstelle Familien- und Unternehmensservice, Inken Nebel-Merkens skizziert. Im Netzwerk verbinden sich Leistungsträger, Institutionen und Personen, um immer weiter die regionale Infrastruktur für betroffene Familien zu verbessern. Am Horizont wartet die Verwirklichung der großen Vision: eine Aufnahme der Leistungen der Familien-Scouts in den Pflichtkatalog der Krankenkassen, wie ihn das Sozialgesetzbuch festschreibt. Dann wird aus diesem Aachener Modell endlich eine bundesweite Regelversorgung.
Autor: Thomas Hohenschue