Eine Muslima in der katholischen KiTa? Eine Bereicherung für alle Beteiligten
Das Kopftuch spielt im KiTa-Alltag von Kübra C. keine Rolle. Die Muslima wird als Kollegin und Erzieherin sehr geschätzt.Thomas Hohenschue
In ihrer KiTa St. Gertrudis in Bockum, Partnerin im Projekt "Qualität aus christlicher Überzeugung" vom Bischöflichen Generalvikariat Aachen und dem Diözesancaritasverband Aachen, beschäftigt die Pfarrei Menschen in diversen Lebenssituationen und Prägungen. Mit Kübra C. (Name geändert) hat die Einrichtung im August 2022 eine muslimische Frau als Berufspraktikantin aufgenommen und gleich nach der Ausbildung im August 2023 fest angestellt.
Die ausgesprochen freundliche neue Kollegin, die in Krefeld aufgewachsen ist, trägt ein Kopftuch. Schon als Kind hat Kübra C. wegen dieser Bekleidung Diskriminierung erfahren. Das geht bis heute so, berichtet sie von Blicken, Gesten und Beleidigungen auf der Straße, an der Kasse, wo immer sie sich bewegt. Deutschland im Jahr 2023 - alles andere als weltoffen.
Die KiTa pflegt eine freie Kultur mit Blick auf Diversität
Umso wohltuender, dass alle Sorgen und Bedenken sofort verflogen, als sie in der KiTa St. Gertrudis als Berufspraktikantin anfing. Weder ihr Glaube noch ihr Kopftuch spielten eine Rolle, als sie ins Bewerbungsgespräch und die ersten Monate in der Einrichtung ging. Mit ihrer Persönlichkeit nahm sie gleich die Verantwortlichen und die Kolleginnen und Kollegen für sich ein.
Und das ist etwas, das Kübra C. sehr wichtig ist: dass sie als Mensch mit eigenem Charakter, mit eigener Haltung, mit eigener Geschichte wahrgenommen wird. Allzu oft reduziert man sie auf ein Textil, auf ihr Kopftuch. Dass eine katholische KiTa der Ort ist, wo sie jenseits Familie und Freunden als Persönlichkeit gesehen und behandelt wird, beglückt und beflügelt sie.
Damit reiht sich ihre Erfahrung ein in die wohltuend freie Atmosphäre, die in der Einrichtung mit Blick auf die diversen Lebenssituationen und Prägungen ihrer Beschäftigten herrscht. Das Team spricht immer wieder, auch im Rahmen der Qualitätsentwicklung, über die gemeinsamen Grundlagen. Dazu gehört eine Verständigung über den Umgang mit Vielfalt, diese bereichert die KiTa.
Die Kinder gehen natürlich und unbefangen mit Vielfalt um
Die Kinder wiederum zeigen keine Berührungsängste oder Vorbehalte ihr gegenüber, berichtet Kübra C. Für viele Kinder ist das Kopftuch kein Thema, es ist für sie halt ein Bekleidungsstück wie viele andere und nicht weiter der Rede wert. Wenn Fragen kommen, zum Beispiel nach der Haarfarbe, entspringen sie einer natürlichen kindlichen Neugier. Kinder sind offen und unbefangen.
Somit kann auch Kübra C. ihre Arbeit ganz ohne verzerrende Verengung ausüben. Als Erzieherin die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, ist ihr nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Die Kinder sehen in ihr wie in anderen Erzieherinnen eine Bezugsperson, mit der sie lachen, spielen, Bücher lesen können und der sie etwas Persönliches anvertrauen können.
Das ist Kübra C. auch sehr wichtig. Sie möchte zutiefst authentisch sein, damit die Kinder erkennen: Ihre Erzieherin sieht zwar etwas anders aus wegen ihrer Bekleidung, aber sie unterscheidet sich nicht von den anderen Frauen in der KiTa. Das ist eine wichtige Lektion fürs Leben und eine Hilfe, sich die Unbefangenheit des kindlichen Blicks auf die Welt zu bewahren.
Religiöse Werte teilen und leben - über den eigenen Tellerrand hinaus
In einer katholischen Einrichtung ist Religion immer wieder Thema, allein durch die Ereignisse im Jahreskreis. Im Team werden die Feste und Projekte besprochen. "Glaube" ist einer der zehn pädagogischen Bereiche der KiTa und auch ein wichtiger Baustein bei der Qualitätsentwicklung. Im Alltag wiederum erdet sich alles im diversen Miteinander, mit tollen Wechselwirkungen.
Kübra C. nimmt wie selbstverständlich an katholischen Ritualen und Festen teil. Das Kreuzzeichen macht sie nicht, aber Gebete spricht sie mit, schon als Vorbild für die Kinder. Außerdem ist sie zutiefst davon überzeugt, dass Islam und Christentum - wie andere Weltreligionen auch - Werte wie Liebe, Frieden und Solidarität teilen. Mit Herzblut gibt sie diese Werte an die Kinder weiter.
Die Erzieherin hat beobachtet, dass die guten Erfahrungen der Kinder auf einige Familien ausstrahlen. Berührungsängste fallen, Neugier entsteht. So hat schon die ein oder andere Familie eine Moschee besucht, im Sinne guter Nachbarschaft. Und besonders bestärkt Kübra C., wie auch Leiterin Kim Abel-Nußbaum, die elterliche Rückmeldung: Schön, dass unser Kind bei Ihnen kulturell und religiös über den Tellerrand schauen kann. Das tut ihm gut und stärkt es auf seinem weiteren Lebensweg.
Mehr Informationen zum Projekt
Die KiTa St. Gertrudis der Pfarrei St. Christophorus Krefeld engagiert sich seit 2016 im Qualitätsentwicklungsprozess "Qualität aus christlicher Überzeugung". Kooperationspartner dieses Projekts sind das Bischöfliche Generalvikariat Aachen, federführend vertreten durch Virginia Bertels, und der Caritasverband für das Bistum Aachen, federführend vertreten durch Petra Daun.
In einem BistumRahmenHandbuch, das in der Kooperation entwickelt wurde, werden vorformulierte Prozesse zur Verfügung gestellt. Die teilnehmende Einrichtung nutzt diese für ihr eigenes Handbuch. Das Team diskutiert wiederkehrend, inwieweit diese Vorgaben bereits erfüllt werden und wo Verbesserungsmaßnahmen nötig sind.
Fachlich inspiriert, setzt das Team die Veränderungen im Alltag mit den Kindern um. Grundlage für das BistumsRahmenHandbuch ist eine Vorgabe des Verbandes katholischer Kindertageseinrichtungen (KTK), die die Anforderungen der DIN EN ISO 9001 auf die Arbeit in der Kindertageseinrichtung übersetzt.
Weitere KiTas für nächste Schulungsphase gesucht
Die aktuelle Phase im Projekt "Qualität aus christlicher Überzeugung" endet mit einem großen Festakt am 11. Dezember 2023 im Aachener Eurogress. Zugleich steht im Frühjahr 2024 die nächste Schulungsphase vor der Tür. Kindertagesstätten aus dem Bistum Aachen, die noch nicht teilgenommen haben, sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Sie erwarten spannende Chancen, die Qualität der eigenen Arbeit, Strukturen, Abläufe zu verbessern - selbst gesteuert und gestaltet.
Mehr Infos und die Möglichkeit, die ersten Schritte zu besprechen, gibt es bei den beiden Projektleiterinnen: Virginia Bertels, Bischöfliches Generalvikariat Aachen, Tel. 0241 452-871, E-Mail virginia.bertels@bistum-aachen.de; Petra Daun, Caritasverband für das Bistum Aachen, Tel. 0241 431-119, E-Mail pdaun@caritas-ac.de.
Autor: Thomas Hohenschue
YouTube: https://youtube.com/shorts/RH1VckQ3-YE