Eine menschenwürdige Pflege
Für Sonja Manca ist die Arbeit im Seniorenheim Paulus-Stift eine Herzensangelegenheit. Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen in der Pflege würde sie ihren Job nie eintauschenAnn-Katrin Roscheck
Entdeckt sie aber auch nur eine stecknadelgroße rote Stelle am Steißbein eines Senioren, gelangt der eng getaktete Plan schnell ins Wanken, und Manca kommt zeitlich in Bedrängnis. Für den restlichen Tagesablauf bedeutet das Folgendes: "Für mich beginnt dann ein großer Dokumentations- und Abstimmungsprozess. Ich muss die rote Stelle fotografieren, sie in einem Bericht beschreiben, den Arzt anrufen - bei dem wir übrigens genauso schlecht durchkommen wie ein klassischer Patient - und vielleicht auch die Wunde verbinden", erklärt sie. "Es bleibt auch keine Zeit, dem betroffenen Patienten die Angst vor zum Beispiel einem Dekubitus zu nehmen, und auch die Pflege der anderen Bewohner schiebe ich dadurch nach hinten."
Das wiederum kann dazu führen, dass anschließend Beschwerdeanrufe von Angehörigen eingehen, die wiederum beantwortet werden müssen. Der Zeitraum für die aktive Beschäftigung mit den Bewohnern, das, was den Pflegeberuf eigentlich ausmacht, schrumpft dadurch immer mehr zusammen.
"Die Klientel in der Pflege hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Heute sind die Bewohner meistens multimorbide und brauchen eine intensivere Versorgung ", erklärt Peter Babinetz als Vorstand des Caritasverbands für die Region Kempen-Viersen. "Seit Einführung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren aber hat sich der Personalschlüssel fast nicht verändert. Das passt einfach nicht zusammen."
Auch Sonja Manca kennt die Epoche vor der Einführung der Pflegeversicherung. Sie absolvierte vor 25 Jahren die Ausbildung zur examinierten Krankenpflegehelferin und arbeitete in der Folge in der häuslichen Pflege, in der Tagespflege und anschließend in der stationären Seniorenhilfe. Erst vor Kurzem holte sie die Ausbildung zur Altenpflegerin nach. "Wir hatten früher einfach viel mehr Zeit für die Bewohner und viel weniger Druck", erinnert sie sich. "Es ist so wichtig, Gespräche zu führen, gemeinsam zu lachen oder auch einfach mal Zeit zu haben, jemanden in den Arm zu nehmen."
Babinetz würde sich den Hilferufen seiner Mitarbeitenden am liebsten lautstark anschließen. Er ist inzwischen richtig wütend über das Dilemma, in das die Politik die Caritas seit Jahren treibt: Mit christlichem Leitbild steht der Träger zum Beispiel für Werte wie Menschenwürde. Als Träger von diversen Pflegeeinrichtungen ist die Caritas aber auch gleichzeitig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängig. "Natürlich sehen wir die Nöte unseres Personals und würden gerne für mehr Unterstützung sorgen, aber es ist niemand da, der dafür die Kosten trägt", sagt Babinetz.
Zwar gebe es mit der vor der Bundestagswahl noch schnell beschlossenen Pflegereform bereits erste Lichtblicke, ausreichend seien diese aber nicht, so ist sich der Vorstand sicher. Aus dem Stückwerk kleinerer "Reförmchen" müsse endlich eine nachhaltige Novellierung des Pflegesystems erfolgen. Auch Sonja Manca wünscht sich Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen für sich und ihre Kollegen im Paulus-Stift. Bis diese kommen, kämpfe sie an vorderster Front weiter, erklärt sie: "Für mich ist am Ende genau wie für viele meiner Kollegen am wichtigsten, dass es den Bewohnern hier gut geht."