Eine gestickte Hommage an politische Aktivistinnen in Belarus
Noch bis Sonntag, 26. Juni 2022, ist im Suermondt-Ludwig-Museum die Ausstellung "DER ROTE FADEN" der belarussischen Künstlerin Rufina Bazlova zu sehen. Und für das Projekt FRAMED IN BELARUS, das noch zwei Jahre läuft, werden weiterhin Patenschaften für politische Gefangene in Belarus in Form von Stickkunstwerken vergeben. Beide Projekte - sie sind Kooperationen des Rheinischen Vereins, der Stadt Aachen und der Künstlerin Rufina Bazlova - stehen im Zusammenhang mit der Verleihung des Karlspreises an die drei belarussischen Aktivistinnen Svetlana Tichanovskaja, Maria Kalesnikava und Veronica Tsepkalo.
Am Wochenende 27. bis 29. Mai war in der Aula Carolina in der Aachener Innenstadt ein Gesamtkunstwerk, bestehend aus einem großen Bildteppich und drei weißen, mit rotem Faden bestickten Kleidern, sowie eine Ausstellung verschiedener Kunstwerke zu sehen. Installation und Ausstellung waren ebenfalls Teil des Projekts EIN ROTER FADEN, initiiert durch Monika von Bernuth und Vera Sous von Spectrum, Rheinischer Verein. EIN ROTER FADEN beinhaltet drei Teilprojekte: Eine Ausstellung der belarussischen Künstlerin Rufina Bazlova im Suermondt-Ludwig-Museum, gemeinschaftliches Sticken im öffentlichen Raum als Solidaritätsbekundung mit politischen Gefangenen in Belarus (Projekt FRAMED IN BELARUS der Künstlerinnen Rufina Bazlova und Sofia Tocar) und zuletzt die Installation mit Ausstellung in der Aula Carolina.
So entstand das Projekt
Mit ihrer Entscheidung über die Bekanntgabe der Karlspreisträgerinnen 2022, der drei belarussischen Aktivistinnen Svetlana Tichanovskaja, Maria Kalesnikava und Veronica Tsepkalo, setzte die Karlspreisstiftung nicht nur ein deutliches Zeichen für die zivilgesellschaftliche Demokratiebewegung, sondern auch für starke Frauen. Sofort nach der Bekanntgabe der Preisträgerinnen Ende vergangenen Jahres fühlten sich Monika von Bernuth, verantwortlich für die Kreativprojekte von Spectrum, Rheinischer Verein, und ihre Kollegin Vera Sous, künstlerische Leiterin der Frauenkunstwerkstatt, aufgerufen, etwas zum Karlspreisrahmenprogramm beizutragen und ein Statement zu setzen.
Schon zuvor hatten Monika von Bernuth, Vera Sous und die Frauen aus der Spectrum-Kunstwerkstatt in gemeinsamen Projekten Signale für ein demokratisches und empathisches Miteinander gesetzt, beispielsweise die Corona-Gedenkstätte in der Aachener CityKirche.
Um den Beitrag zur belarussischen Friedensbewegung so authentisch wie möglich zu gestalten, nahm Monika von Bernuth schon früh Kontakt zu der belarussischen Künstlerin Rufina Bazlova auf. Sie greift die traditionelle Kreuzstich-Stickkunst ihrer Heimat auf und füllt sie mit neuen Motiven aus dem Zusammenhang der belarussischen Revolution. Sie sollte für EIN ROTER FADEN grafische Vorlagen erstellen, damit die drei weißen Kleider der Installation als Symbole für die drei Aktivistinnen passend bestickt werden konnten. Es zeichnete sich ab, dass die Umsetzung der Stickereien die Fähigkeiten und Kapazitäten aller Beteiligten ausschöpfte. So wurde der Aachener Sticktreff aktiviert, dessen Teilnehmerinnen das Projekt mit großer Begeisterung, Anteilnahme und Fleiß begleiteten. Der große Bildteppich, der eine belarussische Landschaft zeigt, wurde parallel von den Frauen der Kunstwerkstatt unter Anleitung von Vera Sous erarbeitet.
Auf Grundlage der wohlwollenden und auch finanziellen Unterstützung durch Spectrum und den Rheinischen Verein für Katholische Arbeiterkolonien e.V. wandten sich Monika von Bernuth und Vera Sous an die Karlspreisstiftung, an die Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen und an den Kulturbetrieb der Stadt Aachen, die nicht nur Fördermittel zur Verfügung stellten, sondern sich an der Suche nach geeigneten Ausstellungsorten beteiligten und auch für eine Erweiterung des Projektes offen waren. Als sich das Projekt weiterentwickelte und sich neue Möglichkeiten für eine Ausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum sowie die Idee des gemeinsamen Stickens im Stadtraum ergaben, erfuhr EIN ROTER FADEN zusätzliche Unterstützung durch die Caritas-Gemeinschaftsstiftung für das Bistum Aachen und das kommunale Integrationszentrum der Stadt Aachen. Wie viele helfende Hände, Ehrenamtliche und sonstige Unterstützende zusätzlich beteiligt waren, lässt sich kaum erfassen.
Das Projekt hätte ohne all diese Unterstützung, Tatkraft und auch finanziellen Aufwind nicht derart erfolgreich realisiert werden können. Die gute Vernetzung und Zusammenarbeit der Institutionen und Akteure ermöglichte nicht zuletzt Rufina Bazlova einen Aufenthalt in Aachen für die Dauer des aktiven Projekts (ca. drei Wochen), sodass sie direkten Anteil an dessen Verlauf hatte. Sie gab - neben den geehrten Aktivistinnen - der belarussischen Bevölkerung eine Stimme und berührte so viele Besucherinnen und Besucher und Projektteilnehmende.
Installation und Ausstellung in der Aula Carolina
Schon einige Tage bevor der große Bildteppich mit den drei weißen Kleidern der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, wurde die Installation in der Aula Carolina aufgebaut. Grund hierfür war das Karlspreis-Dinner, das Mittwochabend (25.05.22) dort stattfinden sollte. Es war also sicher, dass die drei Preisträgerinnen die Installation, die eine Hommage an die belarussische Protestbewegung war, sehen würden, was Rufina Bazlova, die die drei Geehrten bei den Kundgebungen auf dem Katschhof kennenlernen durfte, in besonderen Enthusiasmus versetzte.
Am Tag der Eröffnung wurde die Installation um die Ausstellung von Kunstwerken erweitert, die Projektteilnehmende sowie -unterstützende einbringen wollten. Das waren auf der einen Seite die Solidaritätsstickereien nach Vorlage von Rufina Bazlova, die jeweils den Fall eines oder einer politischen Gefangenen durch das Regime Lukaschenko darstellen, andererseits Stickereien mit anderen politischen Motiven oder auch Kunstwerke, zu denen das Projekt und die politische Situation in Belarus inspiriert hatten.
Eröffnung
Schon vor der eigentlichen Eröffnung kam während des Ausstellungsaufbaus eine Vielzahl von neugierigen und interessierten Besucherinnen und Besuchern in die Aula Carolina. Wie nach dieser außerordentlichen Resonanz im Tagesverlauf zu erwarten war, füllte sich die Halle der ehemaligen Kirche St. Katharina am Abend schnell mit Menschen. Getragen von dieser guten Stimmung und der deutlichen Unterstützung aus der Bevölkerung begann die Eröffnungsfeier. Zur Einstimmung gab es ein Musikstück von Oksana Koval und Oleksiy Solovyov, einem ukrainischen Duo mit Geige und E-Gitarre.
In einem ersten Redebeitrag stellen Monika von Bernuth und Vera Sous das Projekt, seine Entstehung und seine Entwicklung vor. Dann wurde das Wort an Rufina Bazlova übergeben, die die Motive auf den drei Kleidern erklärte, dass diese für die drei Aktivistinnen stünden und wie man ihre Geschichten daran ablesen könnte.
Im Anschluss sprach die Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, die bereits den Feierlichkeiten der Karlspreisverleihung beigewohnt hatte und deren Rede noch vom Eindruck geprägt war, den die außergewöhnliche Courage der Preisträgerinnen hinterlassen hatte. Sibylle Keupen sprach über den europäischen Geist, der zu einem gemeinschaftlichen Miteinander und gegenseitiger Solidarität verpflichtet - nicht nur der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander, vielmehr müsse diese Solidarität in die Welt hinausstrahlen, um jene, die Hilfe benötigen, zu unterstützen. Europa dürfe kein abgeschlossener Club sein, sondern müsse Offenheit und Zugänglichkeit ermöglichen, was leider viel zu oft noch nicht den Tatsachen entspricht. Zur Umsetzung eines solchen offenen und zugänglichen Europa brauche es überzeugte Demokratinnen und Demokraten wie die Aktivistinnen Maria Kalesnikava, Svetlana Tichanovskaja und Veronica Tsepkalo, die unbequeme, gefährliche Wege gehen, sich aber vom roten Faden ihrer Aufgabe nicht abbringen ließen.
Auch Stephan Jentgens, Diözesancaritasdirektor und Aufsichtsratsmitglied im Rheinischen Verein, hob die Bedeutung der Überzeugungen und des Handelns Einzelner hervor und spannte den Bogen zur Heiligen Katharina, der die damalige Kirche, in deren Räumen sich die Aula Carolina heute befinden, geweiht war. Auch die Heilige Katharina positionierte sich deutlich und schlagkräftig gegen das Regime des Kaisers, das Christinnen und Christen aufgrund ihres Glaubens verfolgte und zum Tode verurteilte. Für ihre Überzeugungen ging sie in den Tod. Katharina ist damit ein starkes Beispiel für eine entschiedene Aktivistin mit dem Willen zur Veränderung. Ihr Vorbild wirkt bis in unsere Zeit und fordert uns auf, uns gegen Unrecht und Willkürherrschaft einzusetzen - und das nicht nur in unserer unmittelbaren Umgebung, sondern solidarisch mit Menschen auch in anderen Ländern, ganz unabhängig davon, wie präsent ihr Schicksal derzeit in der Öffentlichkeit behandelt wird.
Oksana Koval und Oleksiy Solovyov spielten noch einige Musikstücke. Das erste war eine belarussische Weise, mit der sie ihre Solidarität mit dem osteuropäischen Land zum Ausdruck brachten. Das war eine beeindruckende und rührende Geste, da die Musikerin und der Musiker erst seit kurzem in Aachen sind, weil sie vor dem Krieg in der Ukraine fliehen mussten. Ihr musikalischer Betrag würdigte die Menschen in Belarus und verband gleichzeitig ihr Schicksal mit der politischen Großlage in Osteuropa - das Signal: Wir sitzen alle im selben Boot. Das schloss die Zuschauerinnen und Zuschauer ausdrücklich ein. "Spätestens jetzt haben wir ein Verständnis davon, was diesem wunderbaren Land durch den Krieg genommen wird", waren Monika von Bernuths Worte nach dem langen Beifall des Publikums, die treffender nicht hätten sein können. Sie trieben so manchem Besucher / mancher Besucherin die Tränen in die Augen.
Noch lange blieben die Beteiligten und viele Besucherinnen und Besucher bei einem Getränk zusammen und tauschten sich vor den Kunstwerken aus.
Nach dem Ende der Ausstellung am Sonntag, den 29. Mai, bis zu dem sich noch zahlreiche Interessierte in der Aula Carolina einfanden - unter anderem bei einer politischen Lyriklesung am Samstag - wanderten die drei bestickten Kleider zurück ins Suermondt-Ludwig-Museum, wo sie in Rufina Bazlovas Ausstellung noch bis zum 26. Juni zu sehen sein werden. Der Bildteppich wird verwahrt, bis er abermals ausgestellt werden wird. Die nächsten Stationen sind bereits im Gespräch. Auch Rufina Bazlovas und Sofia Tocars Projekt FRAMED IN BELARUS ist noch nicht zu ende. Noch zwei Jahre lang kann man sich für Stickpatenschaften anmelden. Mehr Infos unter www.framedinbelarus.net.
Quelle: Rheinischer Verein