„Ein kleiner Klaps hat mir auch nicht geschadet!“ – Wirklich?
Blicken wir auf die Fakten:
Judith GraafDiCV Aachen
Im Jahre 1978 appellierte Astrid Lindgren anlässlich der Verleihung des Friedenspreises für eine friedvolle Welt. Frieden war ihr ein wichtiges Thema, zu dem sie nicht schwieg. Damals, in den 1970-er Jahren, war es noch Gang und Gäbe, dass Kinder zu Hause und in der Schule mit Gewalt erzogen wurden. Die Zeitspanne klingt erstmal sehr lang und weit weg, doch der Paradigmenwechsel ist erst vor kurzen vollzogen worden.
Im Jahre 1989 wurde das Recht auf Gewaltfreie Erziehung im Art. 19 der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben, und erst im Jahre 2000 wurde dieses Recht ins Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1631 Abs. 2) aufgenommen
Die Rede, die Astrid Lindgren 1978 hielt wurde durchaus als Provokation empfunden. Sie stellte in ihrer Rede dar, dass der Frieden in dieser Welt im Umgang mit unseren Kindern beginnt. Aber wie kann dies gelingen? Eine friedvolle Welt? Mit Kindern? Schauen wir in einen Teil der Rede von Astrid Lindgren:
"/…/ Müssen wir uns nach diesen Jahrtausenden ständiger Kriege nicht fragen, ob der Mensch nicht vielleicht schon in seiner Anlage fehlerhaft ist? Und sind wir unserer Aggressionen wegen zum Untergang verurteilt? Wir alle wollen ja den Frieden. Gibt es denn da keine Möglichkeit, uns zu ändern, ehe es zu spät ist? Könnten wir es nicht vielleicht lernen, auf Gewalt zu verzichten? Könnten wir nicht versuchen, eine ganz neue Art Mensch zu werden? Wie aber sollte das geschehen, und wo sollte man anfangen? Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern.
Die Intelligenz, die Gaben des Verstandes mögen zum größten Teil angeboren sein, aber in keinem neugeborenen Kind schlummert ein Samenkorn, aus dem zwangsläufig Gutes oder Böses spriesst. Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun."
Heike KrieteDiCV Aachen
"Überall lernt man nur von dem, den man liebt", hat Goethe einmal gesagt, und dann muss es wohl wahr sein.
Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken. Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt.
Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben, und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen. Liebevolle Achtung voreinander, das möchte man allen Eltern und allen Kindern wünschen./.../"
Diese Gedanken sind in unserer heutigen Situation, in der wir auf unsere Welt immer noch und immer wieder Kriege haben, unglaublich aktuell. Können wir noch wagen zu träumen, dass es eine Welt ohne Krieg geben kann?
Ungefähr zur gleichen Zeit kämpfte die Autorin und Psychologin Alice Miller für das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung, da sie auf den nachhaltigen Schaden schon in der frühen Entwicklung von Kindern hinwies, der durch Gewalt entstehen kann. Sie befasste sich mit den Folgen bei geschlagenen Kindern und erforschte vor allem die Hirnentwicklung der ersten Lebensjahre in Bezug auf Gewalterfahrungen. Und dabei geht es nicht nur um körperliche Gewalt. Auch verbale Gewalt wie Erniedrigung und Demütigung und das machtvolle Einsetzen von Strafen (Hausarrest, Ausschluss von Mahlzeiten, etc.) bedient sich der gleichen Mechanismen wie körperliche Gewalt.
Miller leitete aus ihrer Forschung die These ab, dass Erwachsene, die sich der Gewalt bedienen, wahrscheinlich in der eigenen Kindheit psychische oder physische Gewalt in der Erziehung erlebt und somit den Glauben übernommen hat, dieses Handeln sei richtig und gerechtfertigt. Die Schlussfolgerung muss also sein, dass Kinder, die keine Gewalt erfahren, als zukünftige Erwachsenen diesen Mechanismus nicht bedienen und es ihnen so ermöglicht wird, gesund und rational zu funktionieren.
Eine zugewandte und gewaltfreie Erziehung prägte auch der israelische Psychologe Haim Omer, der den Begriff der "neuen Autorität" formulierte. Im Zentrum dieses Begriffes steht, das Kind als Menschen anzuerkennen und ihm das Gefühl zu geben, gesehen zu werden. So wird das Urvertrauen der Kinder gestärkt. Das Gefühl der Sicherheit gibt den Kindern das nötige Selbstvertrauen, um sich mit den Herausforderungen des Lebens auseinanderzusetzen.
Aus dieser sicheren Bindung, die der Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby und die Psychologin Mary Ainsworth als sicheren Hafen beschreiben, wird den Kindern das Gefühl vermittelt, dass immer jemand für sie da ist. Aus dieser für das Kind sichereren Position heraus kann auch gleichzeitig problematisches Verhalten klar und unmissverständlich verbal thematisiert werden. So weiß das Kind, mein Handeln ist nicht ok, aber meine Person ist sicher. Diese Form von Kommunikation auf nicht-hierarchischer Ebene ermöglicht eine Gleichwertigkeit als Mensch.
Dies sind nur einigen Namen und Bestrebungen von Persönlichkeiten und Fach-experten zu dem Thema der Gewaltfreien Erziehung. Der Tenor ist gleich. Ein klares Ja zu einer Gewaltfreien Erziehung oder wie Rita Bockelbach sagte "Nichts ist so entsetzlich wie der Zusammenstoß zwischen roher Gewalt und kindlicher Hilflosigkeit".
Kinder brauchen nicht nur ein Zimmer und eine warme Mahlzeit. Kinder brauchen vor allem Erwachsene, die sie als Menschen wahrnehmen.
Kleine Menschen und genauso Mensch wie du und ich.
Nehmen wir Kinder ernst und treten wir Ihnen mit Achtung und Respekt gegenüber und wir können wieder von einer friedvollen Welt träumen.
Mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten Kinder- und Jugendstärkegesetz (KJSG) wird auch von Kindertageseinrichtungen ein verbindliches Konzept zum Schutz vor Gewalt eingefordert. Dies beinhaltet nicht nur die passive Entwicklung von Maßnahmen zum Gewaltschutz, sondern auch eine hohe Beteiligung in Form von Selbstvertretung von Kindern. Unabhängig von kommunikativen Möglichkeiten aufgrund von individuellen Entwicklungen der Kinder muss Sorge getragen werden, dass Kinder in ihrer Person für ihre Rechte eintreten können und diese gehört und berücksichtigt werden. Für eine professionelle Kindertagesbetreuung bedeutet dies eine intensive Auseinandersetzung mit den Thema Partizipation und Demokratie.
Die Bedeutung von einer echten Beteiligung von Kindern bedeutet, dass Kinder in Entscheidungen miteinbezogen werden und auch, dass Entscheidungen von ihnen angestrebt werden. Kindertageseinrichtungen für Kinder müssen Tageseinrichtungen von Kindern werden, denn dies sind deren Lernorte, die sie auf das Leben vorbereiten.
Auch für den Hirnforscher Gerald Hüther ist klar: Um glücklich zu sein, muss ein Kind spüren, dass es um seiner selbst willen geliebt wird. Wenn das nicht so ist, verändert sich das ganze Wesen des Kindes.
Astrid Lindgren stellte in ihrer Rede dar, dass der Frieden in dieser Welt im Umgang mit unseren Kindern beginnt. Aber wie kann dies gelingen? Eine friedvolle Welt? Mit Kindern?
Wir haben Ressourcen und Potentiale, um auf eine Welt in Frieden zu hoffen. Eine Hoffnung an der Jede und Jeder mitarbeiten kann, so dass sich aus einer Hoffnung auf Frieden eines Tages eine Wirklichkeit von Frieden bildet.
Kinder sind Zukunft.
Autorinnen: Judith Graaf und Heike Kriete
Quellen und Verweise:
- "Astrid Lindgren" Ansprachen anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ISBN 3-7657-0820-8 (1978)
- https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/neues-kinder-und-jugendstaerkungsgesetz-162860 (Zugriff am 08.04 und 12.04.22)