Ein junges Leben in emotionaler Abhängigkeit. Geschildert in zwei Büchern
Treffen im Heinsberger Haus der Caritas. Die 29-jährige Autorin begrüßt herzlich. Das Gespräch verläuft in aufgeräumter Atmosphäre. Es wird viel gelacht. Das alles, obwohl Michelle Müller-Nagy von unfassbaren verdunkelten, chaotischen, verzweifelten Momenten erzählt. Diese Augenblicke, ein stetes Auf und Ab von Aufbrüchen, Rückschlägen, Trauma, Gewalt, Verstrickungen und Befreiungen - sie sind ihr Leben.
Die Autorin Michelle Müller-Nagy möchte Augen öffnen und Mut machen, sich aus toxischen Beziehungen zu lösen. Thomas Hohenschue
Seit ihrer Pubertät bringt sie eine Borderline-Störung immer wieder an und über Grenzen. Mehrmals steht sie an der Schwelle des Todes, sie will nicht mehr leben. Selbstverletzungen sind eine Bewältigungsstrategie für Gefühle, die sie bedrängen, ebenso der Griff zu Alkohol und Drogen, das Feiern, viele flüchtige Beziehungen. Entgiftungen und Therapien begleiten ihr junges Leben, wie auch Rückfälle.
Lange hat Michelle Müller-Nagy nicht verstanden, was in ihrem Leben einem gelingenden Alltag entgegenstand. Und genau darum dreht sich ihre Autobiografie. Es ist die emotionale Abhängigkeit von einem verheirateten Mann, der aus heutiger Sicht doppelt so alt ist wie sie. Früh hat sich eine toxische, manipulative Beziehung zwischen beiden entwickelt, die Gedanken, Kraft und Lebensmut der jungen Frau aufsog.
Den konkret erzählenden Text über die Jahre "hinter deinem Schatten" (Titel) hat Michelle Müller-Nagy an einem Stück geschrieben. Er ist so dicht und intensiv geraten wie ihr Leben auf der Überholspur emotionaler und gesundheitlicher Ausnahmezustände. Der Verlag, der sie einfühlsam und professionell begleitete, hat daher zwei Bücher daraus gemacht, die das Leben in emotionaler Abhängigkeit und das Herauslösen schildern.
Die Lektüre geht nahe. Sie baut Respekt auf. Michelle Müller-Nagy hat vieles in ihrem Leben erlebt und geleistet. Und sie möchte ihre Erfahrungen weitergeben. Sie möchte zum Beispiel Schülerinnen und Schülern berichten, dass es immer einen Ausweg gibt, gleich wie düster der Moment aussieht. Und sie möchte Menschen helfen, emotionale Abhängigkeiten zu erkennen, und ihnen Mut machen, sich daraus zu lösen.
Über ihren Instagramkanal @talkingboutshadows, über Lesungen und Auftritte im Fernsehen erreicht sie immer mehr Leute. Rückmeldungen zeigen der Autorin, dass sie Menschen inspiriert, Augen öffnet, wertvolle Hinweise gibt. Wie lang der Weg ist und wie fragil jeder Fortschritt, weiß sie selbst sehr gut. Beschwerlich ist das alles, aber die Mühen lohnen sich. Ein neues Kapitel im Leben aufzuschlagen, ist das Ziel.
Autor: Thomas Hohenschue