Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens: „Faire Löhne bei guter Finanzierung müssen das Ziel sein“
Diözesancaritasdirektor Stephan JentgensFrank Kind - Phase Zwei
Kritiker sagen:
"Die Caritas handelt mit der Entscheidung, den Tarifvertrag für die Altenpflege abzulehnen, in krassem Widerspruch zu ihren eigenen sonstigen Aussagen und Werten, wenn es um gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Bedeutung sozialer Dienste geht. Das ist mehr als scheinheilig."
Wir sagen:
Stimmt nicht: Die Caritas sagt in ganz vielen Bereichen der sozialen Arbeit, dass die Finanzierungsgrundlagen verbessert werden müssen. Das gilt auch für den Bereich der Altenpflege, in dem sich die Caritas dafür einsetzt, dass die Pflegeversicherung so gestaltet wird, dass Altenhilfe auskömmlich finanziert wird, wozu auch tarifgebundene Löhne gehören.
Kritiker sagen:
"Die Arbeitgeberseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas kommt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, für bundesweit bessere Arbeitsbedingungen in der Altenpflege zu sorgen, nicht nach."
Wir sagen:
Die gesellschaftliche Verantwortung haben alle, die Leistungen für ein gesellschaftlich relevantes Feld wie die Altenpflege erbringen, auch diejenigen Anbieter, die lediglich den Mindestlohn bezahlen. Wir fragen uns: Warum wird hier die Caritas - die selbst schon gute Löhne bezahlt - kritisiert, und nicht die Arbeitgeber, die schwächere Tarife als den Caritastarif bezahlen oder sich nur auf diesen schwächer ausgestatteten Tarif für die Altenpflege einlassen?
Kritiker sagen:
"Die Ablehnung des Tarifvertrages für die Altenpflege durch die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas ist ein schlimmes Signal für die Beschäftigten in der Altenpflege. Die Ideologen unter den kirchlichen Arbeitgebern trumpfen auf, Verlierer sind aber die rund 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege. Ideologie schlägt Humanität."
Wir sagen:
Die Haltung, nicht "Ideologie", die in diesem Zusammenhang angeführt werden kann, ist das christliche Menschenbild. Um diesem beim Thema faire Entlohnung der Pflege gerecht zu werden, ist der schon beschriebene Weg zu gehen: die Finanzierungsgrundlagen der Pflege müssen verbessert werden. Dazu gehört für die Caritas auch, dass nur Einrichtungen zur Refinanzierung durch die Kostenträger zugelassen werden dürfen, die nach Tarif bezahlen.
Kritiker sagen:
"Händeringend werden überall Altenpflegerinnen und Altenpfleger gesucht. Diese gewinnt man nur mit guten Arbeitsbedingungen und anständiger Bezahlung."
Wir sagen:
Diese Auffassung teilen wir, deshalb hat sich die Caritas auch in ihrer Entlohnung dafür eingesetzt, dass der weit überwiegende Teil der Beschäftigten gut bezahlt wird, es eine gute Altersversorgung gibt und Überstunden sowie Dienst an Feiertagen angemessen vergütet werden. Übrigens werden bereits heute bei der Caritas Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeiter in der Altenpflege nach gleichen arbeitsvertraglichen Vorgaben vergütet wie ihre Kolleginnen und Kollegen in Krankenhäusern. Dies wäre mit dem vorgelegten Tarifvertrag für die Altenpflege nicht vorgesehen.
Kritiker sagen:
"Ein bundesweit geltender Tarifvertrag mit rechtlich verbindlichen Mindestbedingungen würde das Lohnniveau nach unten absichern."
Wir sagen:
Diese Einschätzung teilen wir nicht: Aus unserer Sicht droht dabei aber der Effekt, dass dieser allgemeinverbindliche Tarifvertrag als Obergrenze für die Refinanzierung genutzt werden könnte. Dann wären die Caritas und andere Anbieter, die ähnlich vergüten, gezwungen, die Gehälter ihrer Pflegekräfte auf dieses schlechtere Niveau des Tarifvertrags Altenhilfe abzusenken. Das wäre bestenfalls eine einseitige und falsch verstandene Solidarität. Wichtiger ist, dass alle Arbeitgeber faire Löhne bei einer guten Refinanzierung zahlen.
Kritiker sagen:
"Die Ablehnung eines solchen Tarifvertrages macht die Caritas unglaubwürdig, denn faktisch profitieren von dieser Entscheidung diejenigen privaten Arbeitgeber, die das eklatante Personalproblem in der Altenpflege durch schlechte Löhne und miese Arbeitsbedingungen verursacht haben. Ausgerechnet mit denen macht sich der kirchliche Wohlfahrtsverband gemein."
Wir sagen:
Das stellt die Frage auf den Kopf: Würde es richtig sein, dass wir uns als Caritas mit denjenigen gemein machen, die durch unfaire Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen auffallen, dürften Pflege-Einrichtungen der Caritas mit denen der Diakonie und des öffentlichen Dienstes nicht zu denen gehören, die die höchsten Gehälter, in der Regel bis rund zehn Prozent über dem Tarif für die Altenpflege, zahlen. Eine Verschlechterung für die professionell Pflegenden der Caritas als Solidarität für schlecht bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in anderen Trägerschaften kann nicht ernsthaft als Verbesserung der Rahmenbedingungen gewertet werden. Noch einmal kurz: Faire Löhne bei guter Finanzierung müssen das Ziel sein.
Kritiker sagen:
"Die Entscheidung der Caritas, den Tarifvertrag Altenhilfe abzulehnen, wirft erneut die Frage nach der Legitimation der bislang grundgesetzlich geschützten Stellung der Kirchen im so genannten "Dritten Weg" auf."
Wir sagen:
Genau darum könnte es der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die schon lange den grundgesetzlich garantierten "Dritten Weg" in Frage stellt, bei diesem Thema gehen: die grundgesetzlich geschützte Stellung der Kirchen zu bekämpfen. Es ist aber doch so, dass genau aus dieser Stellung heraus Caritas und Diakonie mit die höchsten Löhne vereinbart haben. Umgekehrt ist doch eher zu fragen: Wie kann ver.di es zulassen, einen Tarifvertrag zu verhandeln, der weit hinter dem zurückbleibt, was sie immer wieder für die Altenpflege fordert? Da holt ver.di aus dem gesetzlich geschützten hohen Gut der Tarifautonomie einen schlechten Tarif für die Arbeitnehmer heraus. Das Verhandlungsergebnis des kirchlichen "Dritten Weges" ist da deutlich besser.
Eines ist uns ganz wichtig:
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Caritas und die Diakonie haben weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Diese Gemeinsamkeiten müssen genutzt werden, um gemeinschaftlich Druck auszuüben. Es sollten nur noch solche Pflegeeinrichtungen und -dienste zugelassen werden, die nach einem auskömmlichen, gute Arbeits-, Lohn- und Altersversorgungsbedingungen absichernden Tarif bezahlen. Und dafür muss ausreichend Geld zur Refinanzierung zur Verfügung stehen.
Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für die Altenpflege war lediglich ein Weg, das Ziel besserer Arbeitsbedingungen in der Pflege zu erreichen. Aber er war nie der einzige. Darauf hat auch der Deutsche Caritasverband immer wieder hingewiesen. Seit mehr als zehn Jahren fordert er, die Zulassung von Pflegeeinrichtungen an eine Tarifbindung zu koppeln. Daher unterstützt der Deutsche Caritasverband auch eine entsprechende Idee von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Da schließen wir uns dem Deutschen Caritasverband an. Auch die Mitwirkung aller Beteiligten in der Pflegemindestlohnkommission, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nun wieder einberufen möchte, sowie die konstruktiven Vorschläge der Caritas für eine umfassende Pflegereform dienen dem Ziel einer Besserstellung von Pflegekräften und einer nachhaltigen Aufstellung des Pflegesystems.
Weitere Informationen des Deutschen Caritasverbandes zur Diskussion um den Tarifvertrag Altenpflege
Die Ablehnung der Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags für die Altenpflege durch die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes hat zu anhaltenden Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Caritasverband geführt. Zudem hat die Bürgerbewegung "Campact" einen Online-Appell an die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes gerichtet, sie möge ihre Entscheidung zurücknehmen.
Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher, wendet sich in dieser Situation in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verbandlichen Caritas. Der Deutsche Caritasverband hat zum Themenkomplex Tarifvertrag Altenpflege zudem Informationen für Mitarbeitende, Informationen für Spenderinnen und Spender und Engagierte sowie Informationen für Interessierte zur Verfügung gestellt.