Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist Herausforderung und Chance zugleich
Kinder im Grundschulalter vielfältig zu fördern und zu fordern, über den Schulunterricht hinaus, macht großen gesellschaftlichen Sinn. Niedrigschwellige, qualitativ gute Bildungs-, Kreativ-, Bewegungs-, Beratungs- und Spielangebote stärken die heranwachsenden Menschen und ihre Familien. Besonders wertvoll ist das bei Situationen, die von strukturellen und persönlichen Benachteiligungen geprägt sind. Zum Beispiel, wenn wirtschaftliche, soziale oder psychische Probleme das Bild prägen, Sprachschwierigkeiten und Bürokratismus das Leben schwer machen.
Ganztägige Betreuung und Begleitung kann einen großen Beitrag für einen verbesserten Zugang zu Bildung und Teilhabe beisteuern. Deshalb hat der Gesetzgeber einen Rechtsanspruch festgelegt, der zum Schuljahr 2026/2027 in Kraft tritt. Der Rahmen ist noch nicht komplett ausformuliert, auch bei der Finanzierung gibt es noch viele Fragezeichen: der richtige Moment, darüber zu sprechen. So der Gedanke bei der Caritas-Sommertour im Bistum Aachen. Sie machte jetzt Station in Jülich und Düren, besuchte Einrichtungen und Schulen, sprach mit Beteiligten.
Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens (r.) diskutierte bei der Caritas-Sommertour im Kreis Düren unter anderem mit dem Dürener Dezernenten Christoph Löhr (2.v.l.), SkF-Geschäftsführer Ulrich Lennartz (2.v.r.) und seiner Vertreterin Stefanie Heinrichs (l.) die Frage, inwieweit durch kooperative Nutzung von Räumen Schule als Lebensorte erschlossen werden können.Thomas Hohenschue
Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens betonte, dass beim Offenen Ganztag Grundschulen, Träger, Kommunen, Land und Bund in einer Verantwortungsgemeinschaft stehen. Gemeinsam müssten sie die Weichen so stellen, dass der Rechtsanspruch das sozialpolitische Versprechen einlöst, wofür er steht. Dazu gehöre auch, dass alle Beteiligten eingetretene Pfade verlassen, ihre jeweilige Systemlogik ein wenig überwinden, Neues denken und Bestehendes verbinden. Die Vision: Grundschulen entwickeln sich ähnlich wie Kindertagesstätten zu Familienzentren, die als Anlaufstelle, Beratungsort, Bildungs- und Begegnungsstätte wirken und im Sozialraum bestens vernetzt sind.
Eine Vorstellung, die bei den begleitenden Persönlichkeiten aus Politik und Verwaltung offene Türen einläuft, weil sie auch bei ihnen ähnlich ausgestaltet ist. Über die kooperative Nutzung von Räumen Schule als Lebensorte zu erschließen, ist genau die Richtung, in die zum Beispiel der Dürener Dezernent Christopher Löhr denkt. In den Offenen Ganztagsschulen auch Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu integrieren, etwa für Familien mit Migrations- und Fluchtgeschichte, wäre auch mit der Linie des CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Rachel im Einklang, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, und sie mit dem mitzunehmen, was sie mitbringen.
Der Tross der Caritas-Sommertour besuchte Orte in Düren und Jülich, an denen die angestrebte gesellschaftliche Leistung schon heute erbracht wird. Es sind dies Einrichtungen und Schulen, an denen sich die Fachverbände SkF Düren und SkF Jülich engagieren. Ihr Einsatz erzählt von dem Mut und dem Herzblut, mit dem sich Caritas für soziale Ziele einsetzt, auch wenn noch nicht alles geregelt ist oder gar ein Bereich unterfinanziert ist. Mit den zuständigen kommunalen Behörden wissen sich Geschäftsführer Ulrich Lennartz (SkF Düren) und Pia-Maria Leifeld, leitende Sozialpädagogin beim SkF Jülich, in vertrauensvoller Kooperation.
Eine ähnliche Qualität zeichnet das Verhältnis zwischen der Offenen Ganztagsschule Grüngürtel in Düren und dem Team der Ganztagsbetreuung des SkF Düren aus. Schulleiter Christoph Heuser und Teamleiterin Ramona Rausch haben einen kurzen Draht zueinander. Die OGS stellt dem Team für Hausaufgabenbetreuung und pädagogische Arbeit Räume zur Verfügung. An dem Tag, an dem es nachmittags zum Abenteuerspielplatz in der Nähe geht, gibt es extra wenig Hausaufgaben. Generell geht es zwischen Schule und OGS-Team des SkF unkompliziert und pragmatisch zu.
Eine wichtige Grundlage für gelingenden Offenen Ganztag, wie auch im Austausch mit Andrea Maaßen sichtbar wurde. Sie leitet mit viel Power, Kreativität und Teamgeist die OGS Derichsweiler. Zum Team der Schule gehören für die überzeugte Anhängerin des Offenen Ganztags auch die Frauen vom OGS-Team rund um Nicole Fleschner, das fachlich vom SkF Düren geführt wird. An diesem Modellstandort ist die Vision, sich mit dem Sozialraum zu vernetzen, kreativ Räume für persönliche Entfaltung zu erschließen, schon heute Wirklichkeit. Stephan Jentgens lud Andrea Maaßen ein, bei Beratungen auf Landesebene ihre Erfahrungen und Haltungen einzubringen. Sie sagte spontan zu.
Zu Brückenschlägen dieser Art kam es vielfach bei dieser Sommertour. Auch der ehrliche Austausch über Chancen und Grenzen fachlicher Standards gehörte dazu. Angesichts des sich verschärfenden Personalmangels und auch mit Blick auf die Finanzierung brauche es einen guten Blick, wie die künftigen multiprofessionellen Teams zusammengesetzt sein sollen. Das Kindeswohl steht an erster Stelle. Dahinter braucht es Lösungen mit Augenmaß, denn der Rechtsanspruch ist das eine, aber Räume, Personal, Ressourcen, ihn einzulösen, das andere. Es soll keinen Fehlstart geben.
Einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des Starts könnten Nachmittagsangebote beisteuern, die bereits außerschulisch etabliert sind. Wie zum Beispiel die Spiel- und Lernstuben, die der SkF Jülich betreibt. Die Caritas-Sommertour besuchte die frisch renovierte Einrichtung am Buchenweg. In Jahrzehnten aufgebaut und entlang der Bedarfe im Sozialraum entwickelt, leistet ihr Angebot Erhebliches für die soziale Integration von benachteiligten Kindern im Viertel. Die Stube erschließt deren Familien niedrigschwellige Zugänge zu Beratungsstellen und Hilfesystemen. Ihr offener, nicht formaler Charakter senkt Barrieren, fördert Vertrauen. Wie lässt sich das ab 2026 in die Landschaft integrieren? Wie bei Sportvereinen soll Offener Ganztag auch hier keinen Abbruch erzeugen.
Viele Fragen, Anregungen und Einladungen zur Kooperation, die alle Beteiligten aus diesem intensiven, bestens durch SkF und IN VIA in Düren und Jülich vorbereiteten Tag zogen. Etwas außerhalb der Tagesordnung, aber ebenso eindrucksvoll ein Besuch beim IN VIA-Wohnheim "Mittendrin" in Jülich. York Sommereisen, Geschäftsführer von IV VIA Düren-Jülich, und Leiterin Tanja Dittel stellten vor, was diese Einrichtung durch beharrliche Arbeit mit ehedem wohnsitzlosen jungen Menschen leistet. Gut durch Fachkräfte und Mitbewohner begleitet, erlernen sie Basics, die für ein selbstständiges Leben, Wohnen, Arbeiten wichtig sind. Rückschläge gehören zum Alltag der Einrichtung dazu. Aber jeder Lebenslauf, der eine Wendung zum Guten nimmt, zu einer Ausbildung, zur eigenen Wohnung, zu ordentlich bezahlter Arbeit, lohnt alle Mühen.
Autor: Thomas Hohenschue
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen