Den evangeliumsgemäßen Auftrag der Caritas stärker in den Pastoralen Raum tragen
Wie haben Sie die Beratungen im "Heute bei dir"-Prozess erlebt?
Mein Eindruck war und ist: Kirche muss Dialektik lernen. Das bedeutet, dass sie sich in den Umbrüchen und Widersprüchen unserer Zeit zurechtfinden muss. Zunächst einmal ging es beim Bistumsprozess um Profilieren, Optimieren und Erproben. Das ist nicht falsch, aber dahinter liegen größere Fragen, etwa die nach der heutigen Wirkungskraft des Evangeliums. Die gehen uns, die wir uns in Kirche und Caritas engagieren, alle an.
Was bringt die verbandliche Caritas an dieser Stelle ein?
Das Evangelium gibt eine Orientierung fürs Leben. Wenn wir es ernst meinen damit, kann es durchaus Sprengkraft haben, etwa wenn es um den Umgang mit Minderheiten geht. Wir als Caritas bewegen uns, anders als viele klassische Gemeinden, in ganz vielen Lebenswelten und -formen. Überall in unseren Städten und Gemeinden sehen wir Nöte, die wir als Zeichen der Zeit lesen und die wir im Auftrag der Nächstenliebe angehen und lindern. Wir wissen uns bei unserem diakonischen Tun fest auf dem Boden des Evangeliums. Zugleich verstehen wir uns als Teil von Kirche und versuchen als solcher, den diakonischen Glaubensvollzug auf allen Ebenen von Kirche zu stärken. Das ist kein Zeitgeist, den wir da propagieren, sondern das ist Zeitgenossenschaft, wie es das Zweite Vatikanum als leitendes Prinzip verkündet hat.
Stark im Fokus der Debatte ist die Kirche am Ort. Wie stehen Sie dazu?
Was gerade als Pastoraler Raum diskutiert wird, ist eigentlich nur der Überbau, der sich mit eigenen Aktivitäten und Angeboten zurückhalten sollte im Sinne der Subsidiarität. Das wirkliche Geschehen sehe ich somit in den Orten von Kirche. Auch hier waltet eine gewisse Dialektik. Die Orte von Kirche bestehen meiner Meinung nach aus eigener Legitimität. Christinnen und Christen leben das, was ihnen das Evangelium aufträgt. Das sollte nicht von oben bestimmt werden, sondern ist eine emanzipatorische Geschichte. Dem steht entgegen, dass sich Orte von Kirche bestätigen lassen müssen, wenn sie etwas wollen. Das gilt auch für Caritas-Einrichtungen, gleich wie aktiv sie bereits seit Jahren oder Jahrzehnten sind.
Welche Rolle kommt dann sinnvollerweise einem Pastoralen Raum zu?
In meinen Augen gibt es zwei wesentliche Aufgaben des Pastoralen Raumes. Zum einen soll er die Orte von Kirche vernetzen, im Raum selbst, aber auch mit dem Bistum und der Weltkirche. Zum anderen soll er Orte von Kirche mit Anregungen, Ressourcen, Begleitung und Qualifizierung unterstützen. Das finde ich wichtig, ohne die Grundsatzfrage aus dem Auge zu verlieren: Wieviel gemeinschaftliche Regelung braucht es, wieviel Individualität lassen diese Bedingungen zu?
Sie sprachen schon von den Einrichtungen der verbandlichen Caritas. Wie sollten diese sich Ihrer Meinung nach in diesem Umbruch verhalten?
Ich kann nur dringend empfehlen: Bringt euch ein, meldet euch als Ort von Kirche an. Es schadet euch nicht, sondern hilft. Zum Beispiel habt ihr dann einen besseren Zugang zu Begleitung und Qualifizierung Eurer Ehrenamtlichen. Diese Situation erfordert von beiden Seiten ein Umdenken. Wir als Caritas müssen zum Teil neu nachvollziehen, dass es neben dem Diakonischen noch zwei weitere Grundvollzüge von Kirche gibt. Zugleich können, sollten, müssen wir unseren evangeliumsgemäßen Auftrag und unsere Erfahrung in den Pastoralen Raum hineintragen. Ich betrachte das als längst überfällige Selbstvergewisserung. Wo stehen wir als Caritas, was ist unser Charisma in der Kirche und der Welt?
Sehen Sie da Chancen, dass da etwas stärker zusammenwächst?
Ja, ich sehe sogar keine Alternative zu einem solchen Zusammenwachsen. Alle, die Verantwortung im Pastoralen Raum tragen, müssen sich fragen: Was gibt es bereits an diakonischem Leben und was können wir außerdem noch an Initiativen sähen? Mit Power und Heiligem Geist ist hier ein Mentalitätswandel zu gestalten, der alle betrifft und alle angeht. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Es gibt ja bereits Pfarreien, wo das Zusammenwirken von Kirche und Caritas sehr gut klappt - zum Wohle der Menschen.
Autor: Thomas Hohenschue