Das Sterben in unsere Mitte holen und diese Zeit als gute Lebenszeit gestalten
Seit mehr als 30 Jahren erlebt die Hospizbewegung in Deutschland einen steten Aufschwung. Menschen wie Annette Busch leisten als Koordinatorinnen von ambulanten Hospizdiensten einen wichtigen Beitrag. Sie qualifiziert, vernetzt und koordiniert seit fast 20 Jahren im Aachener Stadtgebiet Ehrenamtliche, die sterbende Menschen und ihre Angehörigen begleiten.
Sie und ihre Kollegin Bente Ziemons, die seit 2019 das Gleiche für den früheren Landkreis Aachen leistet, sprechen öffentlich über ihren Auftrag und das Engagement der Ehrenamtlichen. Die beiden Mitarbeiterinnen der Aachener Caritasdienste und ihre hauptamtlichen Teams sind verbunden mit dem weit verzweigten, gut vernehmbaren Geflecht der Servicestelle Hospiz für die StädteRegion Aachen.
Und doch hilft alles Erzählen und Erklären eher wenig, beobachten die beiden Koordinatorinnen. Ihre Erfahrung: In vielen Familien wird die Möglichkeit ausgeblendet, dass einer der ihrigen gehen muss, durch Angehörige oder durch die Kranken. Ärztliche Diagnosen und Prognosen werden in ihrer Tragweite relativiert, Symptome und Gesamtbefinden als vorläufig fehlgedeutet.
Die Folge: Es verstreicht wertvolle Zeit. Denn die Diagnose, dass man sterbenskrank ist, heißt nicht, dass man sofort stirbt. Die Tage, Monate, manchmal sogar Jahre zwischen Diagnose und Tod sind Lebenszeit. Dank ihrer gewaltigen Fortschritte kann die Palliativmedizin in vielen Fällen helfen, dass es eine gute Zeit wird, schmerzfrei, ohne Luftnot, ohne Übelkeit.
Leben rekapitulieren, Dinge ordnen, Fragen besprechen
Je früher die Erkenntnis einzieht, dass die letzte Etappe im Leben betreten ist, umso besser lässt sich diese Zeit aktiv und qualitativ gut gestalten. Denn aus falscher Rücksichtnahme oder Verdrängung heraus wird so lange um die traurige Gewissheit herumlaviert, bis Symptome und Allgemeinzustand es nicht länger zulassen. Dann aber fehlt es den Kranken oft an Kraft.
Dabei möchten viele Menschen im Angesicht ihres nahenden Todes ihr Leben rekapitulieren und ihre Angelegenheiten ordnen. Sie haben große und kleine Fragen an das Leben, den Tod, den Glauben. Immer wieder machen Annette Busch und Bente Ziemons die Erfahrung, dass die Ehrenamtlichen für die Menschen, die sie begleiten, Vertrauenspersonen in diesen Fragen sind.
"Alles bleibt in diesem Raum," lautet das Motto von Annette Irmen, die sich seit 2009 ehrenamtlich im Hospizdienst engagiert. Im Vertrauen auf diese Zusage öffnen sich die Menschen, erzählen ihr mehr als dem Ehepartner oder den Kindern. Manches ist aus gutem Grund unausgesprochen, manches beredet der Kranke im vertraulichen Austausch vor, um es dann zu regeln.
Authentisch sein, ist das Wichtigste, es ist auch die Kontrasterfahrung zur Unbeholfenheit und Beklommenheit, die oft am Krankenbett herrscht. Michael Teichert ist seit 2023 ehrenamtlich dabei. Er ist ein Mensch, der die Dinge gerne humorvoll betrachtet und anspricht. Damit kommt man im Leben und im Beruf weiter, sagt er. Er hat gute Erfahrung damit gemacht, das auch bei der Hospizbegleitung so zu halten.
Es gibt Kranke, die bis zu ihrem Tod leugnen, dass sie sterbenskrank sind. Andere wiederum sehen der Tatsache ins Gesicht. Einige spüren sehr gut, wenn es zu Ende geht. Michael Teichert erzählt, wie ein Mann im Krankenbett aufwachte und sagte: "Ich glaube, das wird nichts mehr." Er habe geantwortet: "Das glaube ich auch. Gegenfrage: Beunruhigt Sie das?" Die Antwort: "Nein." Dann sei der Patient friedlich eingeschlafen und einige Tage später verstorben.
Vielfältig für Kranke da sein, ihrer Einsamkeit entgegenwirken
Einfach da sein, mit den Menschen über ihre Themen reden, still sein, antworten, fragen, weinen, lachen, Hand halten - das ist die Vielfalt, die Annette Irmen und Michael Teichert an ihrer Aufgabe schätzen. Sie sind gut ausgebildet worden und bringen sich als ganze Menschen mit ihrer persönlichen Haltung ein. Oft sind sie ein letztes Bindeglied zur Gesellschaft.
Das stellen alle Beteiligten besonders bei längeren Begleitungen fest. Sterbenskranke Menschen verlieren auf Dauer ihre Kontakte, selbst langjährige Freundinnen und Freunde wenden sich ab. Damit erklärt sich einmal mehr, warum die wenigen Stunden mit Ehrenamtlichen aus dem ambulanten Hospizdienst oft die wertvollste Zeit der Woche für die Kranken sind.
Hier zeigt sich eine Schattenseite der fortschreitenden Erfolge, Menschen so lang wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu lassen. Medizinischer und pflegerischer Fortschritt können manchmal die Einsamkeit nicht aufwiegen, die durch krankheitsbedingte Isolation aufkommt. Deshalb blühen manche Menschen im stationären Hospiz noch einmal so richtig auf.
Ein Engagement in der Hospizbewegung wirft immer wieder Fragen an die Gesellschaft auf. Früher fand das Sterben in der Familie statt. Heute ist es verdrängt, die Befassung damit delegiert. Wenn aber gutes Leben bis zuletzt möglich ist, gehören die betroffenen Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft. Schließlich haben sie dieselben Rechte wie wir alle.
Info: Runder Tisch und Welthospiztag
Der ambulante Hospizdienst der Aachener Caritasdienste vernetzt sich mit ähnlichen Diensten aus dem Bistum Aachen. Am Runden Tisch des Diözesancaritasverbandes, geleitet von Fattaneh Afkhami, tauschen sich die Koordinatorinnen aus und sprechen über gemeinsame Fortbildungen und Aktivitäten.
Als nächstes steht der Welthospiztag am 12. Oktober 2024 ins Haus. Er rückt das Thema Vielfalt in den Blick. Infos und Materialien unter https://www.dhpv.de/aktuelles_welthospiztag.html. Aus diesem Anlass stellen wir ambulante Hospizdienste im Bistum Aachen in einer kleinen Reihe vor.
Autor: Thomas Hohenschue