Caritas auf Sommertour im Kreis Heinsberg: Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen nachhaltig besser werden
Die Caritas-Sommertour begann im Alten- und Pflegeheim St. Josef Übach gGmbH in Übach-Palenberg, wo die Vertreter der Caritas drängende Herausforderungen der Pflege mit den Bundestagskandidaten Wilfried Oellers (MdB, CDU) Norbert Spinrath (SPD), Dignanllely Meurer (Grüne) und Alexander Dorner (FDP) aus dem Kreis Heinsberg diskutierten. Schließlich ging es weiter nach Geilenkirchen in das Haus Mutter Teresa, eine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Dort kamen die Vorstandsmitglieder vom regionalen Caritasverband Heinsberg und vom Diözesancaritasverband Aachen mit den Politikern über Forderungen ins Gespräch, die die Caritas für Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen erhebt.
Aufmerksame Zuhörer im Gespräch mit der Caritas: die Bundestagskandidaten aus dem Kreis Heinsberg (v.r.) Alexander Dorner (FDP), Wilfried Oellers (CDU), Norbert Spinrath (SPD) und Dignanllely Meurer (Die Grünen)DiCV Aachen
"Die Gesellschaft braucht ein positiveres Bild zur Pflege. In diesem Arbeitsfeld arbeiten Menschen, die durch ihr Tun ihren Mitmenschen neue Perspektiven eröffnen, Krankheitsverläufe bessern und schließlich Teilhabe ermöglichen", sagte Marion Peters, Vorstand und Abteilungsleiterin Gesundheit & Pflege beim Caritasverband für die Region Heinsberg. Schwester Maria Ursula Schneider, stellvertretende Vorsitzende des Caritasverbandes für das Bistum Aachen, sagte, die Gesellschaft müsse insgesamt bereit sein, diesen Dienst an den älteren und kranken Menschen angemessen zu unterstützen. Dafür müsse auch die Politik werben. "Für die Pflege mehr Gelder zu investieren, muss eine solidarische Verpflichtung sein", sagte sie. Hierzu gehört nach Auffassung von Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens auch, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege wesentlich verbessern müssen. "Ich bin davon überzeugt, dass nicht zuletzt dadurch dringend benötigte neue engagierte Pflegende gewonnen werden können. Neue Grundlagen für einen angemessenen Personaleinsatz, sowohl qualitativ als auch quantitativ, hat die Politik im jüngst verabschiedeten Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz für die vollstationäre Pflege beschlossen. Das begrüßt die Caritas ausdrücklich", sagte Jentgens. Gottfried Küppers, Vorstandssprecher des Caritasverbandes für die Region Heinsberg, forderte: "Ein solches Instrument zur Personalbemessung muss aber nach Auffassung der Caritas auch zwingend - möglichst gleichzeitig - für die ambulante Pflege entwickelt und eingeführt werden."
Markus Laumen, Geschäftsführer der Alten- und Pflegeheim St. Josef Übach gGmbH, und Kerstin Mengeler, stellvertretende Leiterin der Caritas-Pflegestation Geilenkirchen, stellten in kleinen Filmen die Herausforderungen vor, vor denen die ambulanten und stationären Pflegekräfte stehen und formulierten unter anderem folgende Forderungen:
- Ausbildungskosten für Pflegefachassistenzkräfte dürften - wie in Nordrhein-Westfalen geplant - nicht einseitig den Bewohnerinnen und Bewohnern und Patientinnen und Patienten aufgebürdet werden. Das, so fürchtet die Caritas, führt dazu, dass ausbildende Einrichtungen und Dienste ihren Kunden höhere Vergütungsforderungen in Rechnung stellen müssen als Einrichtungen und Diensten, die nicht ausbilden.
- Bei der Evaluation der neuen generalistischen Pflegeausbildung nach drei Jahren müssten Träger der praktischen Ausbildung zwingend beteiligt werden. Nach Abschluss des ersten Ausbildungsganges dürften nicht nur die Erfahrungen der Pflegeschulen und statistische Werte in die Evaluation einfließen, wie es das Gesetz derzeit vorsehe.
Monika Karim, Vorstandsmitglied des Caritasverbandes für das Bistum Aachen aus dem Kreis Heinsberg, sagte, die Politik müsse sich auch um eine Regelfinanzierung von Präventionsangeboten bemühen, die dem Erhalt der Selbstversorgungskompetenz im Alter dienten. "Die Möglichkeiten zur Verhinderung oder Verzögerung von Unterstützungsbedarfen können einerseits durch Angebote zur Förderung der sozialen Teilhabe entscheidend gestützt werden und andererseits durch gezielte Angebote von präventiven Maßnahmen zum Erhalt der Selbstversorgungskompetenz ergänzt werden. Das hat das vom Vorstand des Diözesancaritasverbandes beschlossene Modellprojekt Präventives Alltags-Kompetenz-Training - PAKT in den Jahren 2017 bis 2020 gezeigt, an dem sich auch der Caritasverband für die Region Heinsberg beteiligt hat", sagte Monika Karim.
Diskutierten über das Bundesteilhabegesetz: Fachreferent Frank Pinner vom Diözesancaritasverband (im Vordergrund) und Astrid Werny, Leiterin des Hauses Mutter Teresa, sowie die Bundestagskandidaten (v.l.) Norbert Spinrath, Alexander Dorner, Wilfreid Oellers und Dignanllely Meurer.DiCV Aachen
Im Haus Mutter Teresa kamen die Politiker zunächst mit der Heimleitung Astrid Werny dem stellvertretenden Heimsprecher Kai Schultes sowie den Abteilungsleitern Gefährdete & behinderte Menschen, Judith Anlauf und Hermann-Josef Ronkartz über das Bundesteilhabegesetz ins Gespräch. Grundsätzlich begrüßten die Sprecher der Caritas das Gesetz, mahnten jedoch einige Nachbesserungen an. Nach einer Regelung im Pflegeversicherungsrecht (SGB XI) beschränken sich die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung für Menschen ab dem Pflegegrad 2, die in einer Wohneinrichtung der Behindertenhilfe leben, auf einen pauschalen Höchstbetrag in Höhe von 266 Euro monatlich. Diese Pauschale ist nach Auffassung der Caritas mit der neuen, personenzentrierten Eingliederungshilfe nicht kompatibel. Es sei kaum noch darstellbar, wieso in dem einen Gesetz, dem Sozialgesetzbuch XI, die Leistungen von der Wohnform - stationär oder ambulant - abhängen, während es nach dem Sozialgesetzbuch IX hinsichtlich der Leistungen keine Unterschiede mehr zwischen den Wohnformen geben dürfe.
Die Caritas kritisierte zudem, dass die Regelbedarfsstufe 2 für Menschen mit Behinderung in besonderen Wohnformen nach dem neuen Sozialhilferecht (SGB XII) nicht sachgerecht sei. Diesen Menschen bleibe nicht ausreichend Geld für den Lebensunterhalt zur persönlichen Verfügung. Das müsse geändert werden. Astrid Werny, Leiterin des Hauses Mutter Teresa sagte, für Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen wie stationären Wohneinrichtungen lebten, führe die Trennung der Leistungen dazu, dass sie nun ihre existenzsichernden Leistungen (Grundsicherung / Hilfe zum Lebensunterhalt) direkt vom Sozialhilfeträger erhielten und selbst verwalten müssten. Barbetrag und Kleiderpauschale seien deshalb entfallen. Menschen mit Behinderungen, die in besonderen Wohnformen lebten, bekämen seit 2020 jedoch weniger existenzsichernde Leistungen, als ein allgemeiner Grundsicherungsempfänger, der alleine lebe. Denn es gelte für Menschen mit Behinderung, die in einer besonderen Wohnform leben, der Anwendungsbereich der sogenannten Bedarfsgemeinschaft mit der Regelbedarfsstufe 2. Die Regelbedarfsstufe 2 galt vorher, wenn zwei erwachsene Leistungsberechtigte als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Nach bisheriger Auffassung des Gesetzgebers ergeben sich durch Leben in einer besonderen Wohnform Ersparnisse, die dem tatsächlich feststellbaren Einsparvolumen in Paarhaushalten vergleichbar sind und daher eine pauschale Zuordnung zur niedrigeren Regelbedarfsstufe 2 rechtfertigen. Nun werden Menschen mit Behinderungen in besonderen Wohnformen dieser Zielgruppe gleichgesetzt, ohne dass die konkreten Bedarfe und Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen transparent ermittelt und schlüssig berechnet wurden. Für Menschen mit Behinderung im Bereich des Ambulant Betreuten Wohnens gilt aber die Regelbedarfsstufe 1. Dies führt zu deutlich weniger Geld zum Lebensunterhalt von Menschen mit Behinderung in der besonderen Wohnform und ist nach Auffassung der Caritas nicht akzeptabel. Menschen mit Behinderung in einer besonderen Wohnform, so Werny weiter, lebten nicht in einer Bedarfsgemeinschaft. Der Anwendungsbereich der Regelbedarfsstufe 2 bei den besonderen Wohnformen müsse daher mit einem angemessenen Verfahren überprüft und in Folge auf die Regelbedarfsstufe 1 erhöht und angepasst werden."
Über das Modell der Genesungsbegleitung informierten Hermann-Josef Ronkartz, Abteilungsleiter von Gefährdete & behinderte Menschen der Caritas Heinsberg (2.v.r.), Genesungsbegleiterin Angelika Möhring (M.) und Alexander Kremers (l.), ehrenamtlicher Mitarbeiter.DiCV Aachen
Schließlich forderten die Vertreter der Caritas aus der Region Heinsberg und dem Bistum Aachen die Politiker auf, sich beim Einsatz von selbst psychiatrieerfahrenen Menschen in Beratung, Betreuung und Behandlung von psychisch kranken und psychisch behinderten Menschen für eine einheitliche, qualifizierte Ausbildung stark zu machen und einheitliche Vergütungsmerkmale zu entwickeln. "Menschen mit Psychiatrieerfahrung können anderen Menschen in einer psychischen Krise durch persönlichen Austausch und Beratung zur Genesung sehr hilfreich sein. Der Begriff EX-IN Genesungsbegleitung hat sich im Zusammenhang mit psychiartrischen Erkrankungen durchgesetzt und meint neben psychiatrieerfahrene Menschen, die ihr eigenes, aufbereitetes Erfahrungswissen einsetzen, um anderen Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen zu helfen und zu unterstützen. Wir machen damit in unserem Verband sehr gute Erfahrungen", sagte Hermann-Josef Ronkartz, Abteilungsleiter Gefährdete & behinderte Menschen beim Caritasverband für die Region Heinsberg. Genesungsbegleiterin Angelika Möhring, die selbst Psychatrieerfahrungen hat und sich zur Genesungsbegleiterin ausbilden ließ, und der Ehrenamtler Alexander Kremers stellten den Ansatz der Genesungsbegleitung vor. Für die Qualifizierung zum EX-IN Genesungsbegleiter gebe es allerdings keine einheitlichen Standards, folglich auch keine Chance auf Anerkennung als Ausbildungsberuf und damit letztlich auch keine tarifliche Einbindung. "Damit ist diese wichtige Unterstützungsform in Aufbau und Verwirklichung bundesweit bis heute nicht gesichert. Wir halten dies aber für unbedingt notwendig. Darauf wollen wir besonders aufmerksam machen", sagte Hermann-Josef Ronkartz.
Am Ende der Sommertour waren sich die Bundestagskandidaten und die Vertreter der verbandlichen Caritas aus dem Bistum Aachen und der Region Heinsberg einig: Die Gespräche sollten unbedingt fortgesetzt werden. Die Politiker dankten für die Einblicke in und die Sichtweisen aus der Praxis.
Die Caritas-Sommertour ist eine gemeinsame Aktion von regionalen Caritasverbänden im Bistum Aachen und dem Caritasverband für das Bistum Aachen als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege. Sie greift das Motto der Caritas-Dachkampagne 2021/2022 auf "Das machen wir gemeinsam". Nach den Herausforderungen der Corona-Pandemie kommt es nach Auffassung der Caritas nun auf "Neue Normalität gestalten" an. So lautet eine Aktion der Caritas zur Bundestagswahl, in der sie in einen breiten Dialog eintreten möchte, unter anderem mit Männern und Frauen, die für den Deutschen Bundestag kandidieren. Die Herausforderungen der Zukunft sind nur gemeinsam zu bewältigen, so die Caritas.
Politische Forderungen der verbandlichen Caritas im Bistum Aachen finden sich im Internet unter www.caritas-ac.de/positionen-zur-bundestagswahl.
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen