Barrieren für Menschen mit Behinderung abzubauen, braucht Beteiligung auf Augenhöhe
Ein Team von Power-Frauen macht sich für die Selbstvertretung im Bistum Aachen stark: Anne Wolf, Nora Morsch und Sonja Mauritz (v. r. n. l.).Thomas Hohenschue
Viele Menschen kennen Anne Wolf. Sie setzt sich in der Aachener Koordinierungs- und Beratungsstelle (KoKoBe) ein. Das tut sie als Peer-Beraterin, das heißt, sie bringt ihr ganzes Wissen und ihre Lebenserfahrung als Mensch mit Lernschwierigkeiten ein. Mehr Augenhöhe geht nicht, wenn es um die Weitergabe von wichtigen Infos und Tipps geht.
Aber so einfach kommt der Rest der Gesellschaft nicht davon. Anne Wolf entlässt sie nicht aus der Verantwortung, ihre zahllosen Barrieren abzubauen. Mit diesem Einsatz ist sie nicht allein. Zum Beispiel hat sie mit Nora Morsch und Sonja Mauritz ein tolles Trio gebildet, um anderen Menschen mit Behinderung Mut zu machen, für ihre Interessen einzutreten.
Nora Morsch hat in den letzten zwölf Jahren als kulturelle Sozialpädagogin im Sozialen Dienst der CBW gearbeitet. Sie engagiert sich in der Landesarbeitsgemeinschaft der Caritas Werkstatträte und Frauenbeauftragte, ihr Herz schlägt für die Selbstvertretung. Ganz bestimmt sagt sie: "Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist ein Menschenrecht."
Das sieht auch Sonja Mauritz so. Die Diplom-Sozialpädagogin leitet einen privaten Dienst für Betreutes Wohnen und kennt die Lücken, die das Gesetz mit Blick auf Selbstvertretung offenlässt, gerade beim Wohnen. Sie selbst setzt sich intensiv für eine inklusive Gesellschaft ein und hat das erste Peer-Beratungsprojekt in Aachen koordiniert und begleitet.
Und so schlossen sich Kreise, als die drei Frauen vom Diözesancaritasverband Aachen angefragt wurden, etwas zusammen zu machen. Die Idee: gemeinsam ein Seminar gestalten für Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychischer Behinderung. Und zwar nicht zu irgendeinem Thema, sondern zu dem besonders komplexen Thema Selbstvertretung.
"Wir vertreten uns selbst!", so heißt die Fortbildungsreihe, die 2023 gestartet ist. Mittlerweile gibt es drei verschiedene Module mit unterschiedlichen Referent:innen-Trios und weitere sollen folgen. Zielgruppe sind alle Menschen mit Behinderung, die sich in Selbstvertretungsgruppen engagieren.
Für Nora Morsch und Sonja Mauritz bedeutete das die Umsetzung des Grundsatzes "nicht ohne uns über uns". Wenn es so ist, dass Menschen mit Einschränkungen als Experten für sich selbst mitreden sollen, dann muss das auch und gerade in einem solchen Seminar gelten. Die Realität sieht aber häufig ganz anders aus, das Angebot wird ohne Beteiligung konzipiert und umgesetzt.
Somit scheitern viele Profis am eigenen Anspruch auf Barrierefreiheit. "Da müssen wir uns oft genug an die eigene Nase fassen", resümiert Nora Morsch selbstkritisch. Sie hat es selbst gespürt, als sie mit Anne Wolf und Sonja Mauritz das Seminar vorbereitete. Das Konzept zu entwickeln, dauerte länger, als sie es gewohnt war. Aber die Qualität stimmte.
Denn Qualität heißt, ganz nah an den Blickwinkeln und den Bedarfen der Adressat:innen zu sein. Diese Perspektive brachte Anne Wolf mit ihrem Herzblut für die Anliegen von Menschen mit Einschränkungen ein. Ihre persönliche Sichtweise auf die Dinge erdete die Akademikerinnen. Sich auf das entschleunigte Tempo einzulassen, forderte Nora Morsch besonders heraus.
Hinzu kam die Sprache. Denn wirklich einfach sprechen tun wenige, die sich um den Abbau von Barrieren bemühen. Es gibt so viele Stolpersteine, angefangen vom komplizierten Satzbau bis hin zu unverständlichen Fremd- und Fachworten. Einen Vortrag auf leichter oder zumindest einfacher Sprache vorzubereiten, fällt den meisten schwerer, als man denkt.
Toll, wenn jemand dabei ist, der Zeit seines Lebens diese schwere einfache Sprache spricht. Anne Wolf hatte wie viele mit dem Lampenfieber zu kämpfen. Aber als sie da vorne stand und vor der Seminargruppe sprach, war sie den Teilnehmenden ein leuchtendes Vorbild. Schließlich ging es um Selbstvertretung - und einen Vortrag zu halten, ist auch eine Form davon.
"Nora und Sonja sind wirklich gut darin, einfach zu sprechen", sagt Anne Wolf. Wenn es im Seminar doch einen Moment gab, in dem es zu kompliziert wurde, zeigte Anne Wolf die rote Karte. Die hat sie immer dabei und zückt sie, wenn das Gegenüber sprachlich die Augenhöhe verlässt. "Fachchinesisch" wird sofort geahndet.
Irgendwann schwingt man sich miteinander ein, erzählt Sonja Mauritz. "Wir haben viele Inputs mit wichtigen Inhalten vorbereitet. Bei der aktiven Umsetzung haben wir uns dann aber leiten lassen. Denn was wirklich zählte, war das, was die Menschen mit Behinderung brauchten, um gut lernen zu können." Kreative Methoden und ganz viel visualisieren helfen. Aber eben auch eine hohe Flexibilität, sich auf das Gegenüber einzulassen.
Voneinander bei Vorbereitung und Durchführung des Seminars zu lernen, fanden alle drei bereichernd. Das ging auch den Teilnehmenden so. Viele haben das erste Mal eine Bildungsveranstaltung besucht und haben dort Angst, Nervosität und Selbstzweifel überwunden. Das Eis brach, sich zu beteiligen. Alle waren auf sich stolz. Und das stärkte ihre Basis, um die nächsten Schritte in den Selbstvertretungsgremien zu gehen.
Autor: Thomas Hohenschue