Aus der Not heraus
Viele gesellschaftliche und politische Entwicklungen hat er in dieser Zeit begleitet. Neben großen Veränderungen gibt es aber auch erstaunliche Parallelen im Laufe der Jahre.
Als die Delegierten aller karitativen Vereine am 17. Januar 1917 im Mönchengladbacher Gesellenhaus zusammenkamen, um ihre Aktivitäten unter dem Dach eines Verbandes zu bündeln und zu koordinieren, tobte vor der Tür gerade der Erste Weltkrieg. In Russland war die Zarenfamilie im Zuge der Februarrevolution gestürzt worden, deren Anführer mit der Oktoberrevolution entmachtet wurden. Deutschland führt einen U-Boot-Krieg und die USA treten schließlich in den Weltkrieg ein. Das Weltgeschehen ging auch an Mönchengladbach nicht spurlos vorüber: Der Import von Lebensmitteln, der in Deutschland immerhin einen Anteil von einem Drittel der Agrarprodukte ausmachte, stoppte. Die Not der Lebensmittelknappheit wurde durch eine Kartoffel-Missernte im Herbst 1916 weiter verstärkt. Die Steckrübe wurde die wich- tigste Nahrungsquelle. Dazu kam der außerordentlich strenge Winter, mangels Kohle konnten viele Wohnungen kaum beheizt werden.
In Mönchengladbach, damals noch „München-Gladbach“, finden notleidende Menschen bei vielen karitativen Vereinen Hilfe. Sie unterstützen Wöchnerinnen, kümmern sich um Waisen, übernehmen die Alten- und Krankenpflege, organisieren Armenspeisungen in Suppenküchen. Die Idee, die vielfältigen Aktivitäten der caritativen Vereine zu bündeln und zu koordinieren, um sie effizienter einsetzen zu können und zu professionalisieren, hatte der Pfarrer Lorenz Werthmann schon 1897 mit der Gründung des Caritasverbands für das katholische Deutschland umgesetzt.
Nach den Weltkriegen prägen Hunger und knapper Wohnraum das Leben
Nach beiden Weltkriegen prägen vor allem Hunger, knapper Wohnraum und Krankheiten das Leben in der Region. Die Mitarbeiter der Caritas gehen zu den Menschen in die Wohnviertel, um vor Ort zu helfen. Während der großen Grippewelle nach dem Ersten Weltkrieg, bei der weltweit bis zu 50 Millionen Menschen sterben, pflegen die Mitarbeiterinnen in mehr als 100 Mönchengladbacher Familien die Kranken, versorgen die Haushalte und sorgen dafür, dass regelmäßig ein Essen auf dem Tisch steht.
Aber nicht nur die Hilfe vor Ort macht sich die Caritas zu eigen. Jungen Menschen eine gute Grundlage für eine Ausbildung und damit eine Zukunft zu geben, ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit. 1928 zeigt sich das in einem Lehrlingsheim an der Kaiserstraße. Gleich neben der Caritas-Zentrale bekommen 75 Jugendliche hier eine Unterkunft und Verpflegung. Bei einem Luftangriff werden Lehrlingsheim und Zentrale 1944 schwer beschädigt. 1946 wird ein neues Lehrlingsheim mit 112 Plätzen an der Grafenstraße eröffnet. Für Obdachlose und Durchwanderer werden zwei ehemalige Bunker zu Übernachtungsstellen umgebaut. 1947 hat der Verband acht Beschäftigte, die die Verteilung der Care-Pakete aus den USA übernehmen und im Erkelenzer Umland über 600 Zentner Kartoffeln sammeln, um sie an Bedürftige zu verteilen.
Mit dem zunehmenden Wohlstand verändern sich die Arbeitsfelder
Mit dem Wirtschaftswunder und dem zunehmendem Wohlstand in Deutschland verändern sich auch die Arbeitsfelder der Caritas in Mönchengladbach: Ab 1956 bringt das Ferienwerk jährlich 1200 Kinder für drei Wochen in die Sommerfrische im In- und Ausland. Es werden Altenheime gebaut, Kindergärten eingerichtet, Förderschulen und -kindergärten für Kinder mit Behinderungen gegründet und das Konzept „Essen auf Rädern“ umgesetzt. Dabei leistet der Verband oft Pionierarbeit: 1971 werden in Holt 36 Altenwohnungen fertig – die ersten ihrer Art in der Stadt. 1983 startet der Haus-Notruf-Dienst für Senioren mit zehn Teilnehmern. Der Dienst wächst schnell – nicht zuletzt dadurch, dass auch andere Verbände ihn nutzen.
Mit dem Wachstum entwickelt sich der Verband zu einem der großen Arbeitgeber in der Stadt. 1978 standen 210 Beschäftigte auf der Lohn- und Gehaltsliste, 1988 sind es schon 416 Frauen und Männer. 2010 erschüttert ein Skandal den Verband in seinen Grund- festen. In einem Altenheim wurden Missstände in der Pflege aufgedeckt. Der damalige Geschäftsführer und die Heimleitung werden entlassen, der Verbandsvorstand neu gebildet. Heute stehen mehr als 700 Beschäftigte in den Diensten der Caritas. Rund 300 Ehrenamtler sind in diversen Dienstleistungen und Einrichtungen aktiv. Einer der Schwerpunkte ist die Gemeindesozialarbeit, die seit 2014 besonders die Flüchtlingsarbeit in den Stadtteilen unterstützt. Themen wie Inklusion und das Leben im Alter bestimmen die Agenda im Jubiläumsjahr.
Autorin: Garnet Manecke