Eltern für Kinder suchen
Astrid Samuel sitzt in einem Raum beim SkF Viersen, in dem sich Pflegekinder mit ihren leiblichen Eltern bei Besuchskontakten treffen. Diese Begegnung zu begleiten ist eine der Aufgaben der Sozialarbeiterin und ihrer Kolleginnen. DiCV Aachen
Es klopft an der Bürotür von Astrid Samuel. Sie leitet den Pflegekinderdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. (SkF) in Viersen für die S
tadt Viersen. Eine Kollegin schaut durch die einen Spalt weit geöffnete Tür. Ob Astrid Samuel schon mit dem Jugendamt gesprochen habe, fragt sie. "Ja, ich weiß Bescheid", antwortet die 50-Jährige. "Der Kollege vom Jugendamt fährt raus zu der Familie, schaut sich die Situation an. Ich habe schon eine Familie, die für die Aufnahme des Kindes zur Verfügung steht."
Manchmal muss es schnell gehen beim Pflegekinderdienst des SkF in Viersen. Astrid Samuel sitzt quasi auf Abruf hinter ihrem Schreibtisch. Eine Inobhutnahme steht möglicherweise kurz bevor. Das Jugendamt hat eine Mitteilung über eine mögliche Kindeswohlgefährdung bekommen, die sofortiges Handeln erfordert. Die Sozialarbeiterin hat schon eine Bereitschaftspflegefamilie angerufen, die das Kind kurzfristig aufnehmen kann. 14 Familien stehen dem SkF allein für die Stadt Viersen für solche Fälle zur Verfügung. "Solche Eltern müssen schon ein wenig verrückt sein im Sinne von flexibel und spontan", sagt Astrid Samuel.
1999 baute sie gemeinsam mit einer Kollegin beim SkF die so genannte Familiäre Bereitschaftsbetreuung auf. Die ist da, wenn das Jugendamt mitunter sehr kurzfristig entscheidet, dass Kinder nicht mehr in ihrer Ursprungsfamilie bleiben können und in eine Bereitschaftspflegefamilie müssen. Kindeswohlgefährdung droht, die Zahlen steigen. Eine wertfreie Haltung gegenüber den Herkunftseltern ist für eine gute Zusammenarbeit wichtig. "Wenn ich mir die Herkunftseltern anschaue sind nie Eltern darunter, die ihren Kindern gegenüber gleichgültig sind oder nicht gute Eltern sein wollen. Da sind ganz viele darunter, die eine eigene Geschichte mitbringen. Es gibt immer mehr psychische Erkrankungen, viele haben Drogenprobleme."
Wenn ein Kind in einer Bereitschaftspflegefamilie oder einer Vollzeitpflegefamilie untergebracht wird, ist der Fokus des Jugendamtes und des SkF beim Kind. Welche Familie passt am bestem zu welchem Kind? Bereitschaftspflegefamilien können nur solche Familien werden, die in der Regel eigene Kinder und damit auch Erfahrung im Umgang mit diesen haben. Ihre Familienplanung ist abgeschlossen. Sie müssen eine gewisse Professionalität haben, denn sie nehmen Kinder auf, die nach einer gewissen Zeit wieder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren sollen. Für alle Paare oder Einzelpersonen aber, die sich als Bereitschaftspflege-, Vollzeitpflege oder Adoptiveltern beim SkF bewerben, gilt ein Grundsatz: "Wir suchen Familien oder Paare für Kinder, also Eltern für Kinder und nicht Kinder für Eltern", sagt Astrid Samuel.
Kontakt zu potenziellen Pflege- oder auch Adoptiveltern knüpft der SkF meist bei Informationsabenden, die der Verein gemeinsam mit dem Jugendamt der Stadt Viersen anbietet. Interessenten können danach zu einem persönlichen Informationsgespräch zum SkF kommen. Dabei versuchen Astrid Samuel und ihre Kolleginnen die Motivation zu ergründen, warum sich Paare oder Einzelpersonen als Pflegeeltern bewerben. "Sie bekommen dann einen Bewerberbogen, der relativ umfangreich ist, der bereits auf Themen eingeht, die wir mit den Eltern dann weiterhin besprechen: Wie stellen sie sich Besuchskontakte vor? Was denken sie über Kontakte zur Herkunftsfamilie? Welche Gründe gibt es, die dazu führen, dass ein Kind in eine Pflegefamilie muss? Welche Erfahrungen haben sie in der eigenen Erziehung gemacht?", erzählt Astrid Samuel. Danach geht es in die tatsächliche Bewerberphase, in der die SkF -Mitarbeiterinnen mehrere Gespräche mit den Bewerbern führen und mindestens einen Hausbesuch machen, ein Prozess über Monate. Und wenn dann irgendwann Pflegeeltern ein Kind kennenlernen, das eventuell einmal bei ihnen einziehen soll, muss bei den Pflegeeltern unbedingt das Bauchgefühl ja sagen. "Das Gefühl, für dieses Kind etwas aushalten zu können, muss vorhanden sein", sagt Astrid Samuel.
Belastende Situationen bringt ihre Aufgabe immer mit sich. Die kann die 50-Jährige aber gut im Büro lassen, sonst, so sagt sie, könne sie diesen Job nicht machen. Sie komme immer dann dazu, wenn die Situation am schwierigsten sei. "Wir begleiten Inobhutnahmen, die gut verlaufen, aber wir begleiten auch Inobhutnahmen mit Polizei, wenn es komplett gegen den Willen der Herkunftseltern läuft. Für die Kinder sind das immer die schwierigsten Situationen." Aber ihre Arbeit und die ihrer Kolleginnen - davon ist Astrid Samuel überzeugt - ist eine Chance für die Kinder: "Wenn man ein Foto machen würde von dem Kind zum Zeitpunkt der Inobhutnahme und eines etwa zwei Wochen später in der Bereitschaftspflegefamilie, sieht man oft schon große Veränderungen bei den Kindern", sagt sie.
Als Astrid Samuel im SkF die Bereitschaftspflege mit aufbaute, nahm sie an, schreiende, sich an die Eltern klammernde Kinder von Vater und Mutter wegreißen zu müssen. "Das ist selten", sagt Astrid Samuel und fügt nach einer Pause hinzu. "Viele Kinder gehen selbstverständlich mit. Das macht zwar die Unterbringung leichter, Aber eigentlich zeigt es ja, was die Kinder schon mitgemacht haben. Die hatten in ihrer Ursprungsfamilie nicht unbedingt eine feste Bezugsperson." Für die Kinder können sie zwar nichts von dem ändern, was vorher passiert sei, sagt die Sozialarbeiterin. "Aber in dem Moment, in dem wir als Pflegekinderdienst tätig sind, kann ich versuchen, für die Kinder die nächsten Schritte besser zu machen."