Im Vordergrund steht die betroffene Person mit ihren Nöten
Einer der Fluthilfekoordinatoren des Caritasverbandes für das Bistum Aachen: Roman Schlagkigali films
Wie geht eine Gesellschaft mit Krisen um? Was kann ein Wohlfahrtsverband wie die Caritas dabei tun? Auf diese Frage kann Roman Schlag belastbare, auf reicher Erfahrung fußende Antworten geben. Der Mitarbeiter des Diözesancaritasverbandes Aachen baute nach der Flutkatastrophe vom Juli 2022, gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen, innerhalb von Tagen und Wochen ein tragfähiges Netz von Strukturen und Abläufen auf, das in erster Linie einem Ziel diente und dient: schnelle und direkte Hilfe für die Menschen zu leisten, denen die Flut den Boden unter den Füßen weggerissen hat.
Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich Roman Schlag daran, wie zunächst Anna Kohlwey und zwei Wochen später zusätzlich er eine möglichst effektive Systematik austüftelten, um die Hilferufe von Betroffenen sachgerecht und rasch in die richtigen Kanäle zu leiten und Direktzahlungen zu veranlassen. "Wir wussten damals nicht, wo uns der Kopf steht", berichtet der Referent von einem Ausnahmezustand, sieben Tage 24 Stunden waren es gefühlt. Für etwas Anderes war kaum Platz im Alltag.
In besonders stark betroffenen Gebieten, etwa in der Eifel, in Stolberg und in Eschweiler war die Caritas mit als erste da, als Regionalverband und als Fachverbände. Mit ihnen verabredeten Roman Schlag und Anna Kohlwey eine Arbeitsteilung, die bis heute besteht: Die direkte Beratung erfolgte und erfolgt vor Ort, mit aller geballten Kompetenz, die Caritas einbringen kann, in den vielen Fragen, die nach der Katastrophe aufkamen und weiter aufkommen. Die Prüfung, Bewilligung und Auszahlung der Anträge auf finanzielle Hilfen der Caritas hingegen erfolgt auf Ebene des Diözesancaritasverbandes. Das hat sich außerordentlich bewährt. Beim Diözesancaritasverband kümmerten sich inhaltlich Roman Schlag und Anna Kohlwey darum, im Oktober stieß als Dritter im Bunde Wilfried Reiners hinzu.
Eine starke Stütze, deren Engagement und Flexibilität der Referent kaum genügend zu würdigen weiß, findet dieses System in den Verwaltungskolleginnen, welche die Zahlungen veranlassen. Häufig genug mussten kurze Wege genutzt werden, um Direkthilfe zu leisten. Im Zuge ihrer Arbeit hatten sie oft Kontakt mit Betroffenen und waren mit ihren persönlichen Schicksalen konfrontiert.
Zur Lernerfahrung dieser intensiven Monate gehört auch, dass es besser ist, sich nicht zu sehr in Zuständigkeiten aufzuteilen, sondern alles gleichermaßen zu machen. Das hat sich sehr bewährt, im Sinne der erforderlichen hohen Schlagzahl, aber auch, um in Vertretungssituationen handlungsfähig zu bleiben. "Im Vordergrund stand und steht immer die betroffene Person mit ihren existenziellen Nöten", sagt Roman Schlag. Betroffene sollen nicht unter den manchmal herausfordernden Organisationsfragen leiden. Das Trio beim Diözesancaritasverband hat sich ein gemeinsames System im E-Mail-Programm überlegt, mit dem sie ausschließen, dass sie Vorgänge doppelt betreuen oder doppelt Korrespondenz führen.
Auch in anderer Hinsicht ist alles gut abgesichert: In der engen Vernetzung mit den regionalen Beratungskräften werden Herausforderungen und Situationen reflektiert, um fachlich richtige Entscheidungen zu treffen. In Datenbanken wird nachgeschaut, ob die antragstellende Person eventuell schon über andere Kanäle Hilfen bekommen hat. Und jeder Zahlungsvorgang wird nach dem Vier- oder gar Sechs-Augen-Prinzip veranlasst, nach klaren Kriterien, die sowohl bei der belegfreien Direkthilfe als auch bei der ergänzenden, belegbasierten Hilfe aus Caritasmitteln gelten.
Auch den Helfenden galt es zu helfen, vor allem am Anfang, erzählt Roman Schlag. Tausende Fragen tauchten auf, die sich bis dahin nicht stellten. Ein Beispiel: Wenn die Kolleginnen eines Caritas-Pflegedienstes Ersthilfe bei betroffenen Menschen leisten, sind sie dann über die Berufsgenossenschaft versichert? Da konnten Roman Schlag, Anna Kohlwey und später auch Wilfried Reiners die Stärken des Spitzenverbandes ausspielen, mit dessen Kontakten und Zugängen zu Schwesterverbänden oder anderen Organisationen, die Erfahrungen in der Katastrophenhilfe haben.
So war flott klar: Logistische Hilfe viel besser vor Ort koordinieren und leisten, weil das immer näher an den Bedürfnissen und Situationen der betroffenen Bevölkerung ist. Sich nicht in der Annahme, Verwaltung und Zuteilung von Sachspenden verzetteln, denn auch das passt oft nicht so gut zu dem, was in den Flutgebieten gebraucht wird. Vielmehr der finanziellen Unterstützung Vorrang geben, denn die Betroffenen wissen am besten, was sie benötigen. Die Spendenmittel von Caritas International, die der Diözesancaritasverband auszahlt, lindern größte Nöte und ergänzen in der Folge die Unterstützung seitens des Staates und gegebenenfalls auch von Versicherungen.
"Das Ende der Fahnenstange ist längt nicht erreicht, weder bei den psychosozialen Folgen, noch bei den finanziellen Folgen der verheerenden Flut", blickt Roman Schlag nach vorne. Der Referent hat profunde Expertise in arbeitsmarkt-, wohnungs- und armutspolitischen Fragen und sieht hier noch eine große Herausforderung auf die betroffenen Regionen zukommen. Die steigenden Energiepreise zum Beispiel werden betroffene Haushalte doppelt treffen, Bautrockner verschlingen eine Unmenge an Strom. Die Preise im Bausektor explodieren und auch ansonsten wird das Leben gerade sehr teuer. Betroffene Personen und ihre Familien geraten an den Rand der Zahlungsfähigkeit oder darüber hinaus. Da wächst ein gesellschaftliches Problem, für das es dringend Lösungen braucht.
Autor: Thomas Hohenschue