Der Weg zu einer neuen Normalität ist lang und steinig
Marion LöhmannThomas Hohenschue
Zu den vielen Orten im Bistum Aachen, die erheblich von der Flut betroffen waren, gehört neben Friesenrath, Walheim-Hahn und Aachen-Sief auch Kornelimünster. Wer heute, ein Jahr später, den historischen Ort im Aachener Süden besucht, sieht ihm das auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Der zweite allerdings offenbart, dass zum Beispiel rund um den pittoresken Markt weiterhin Handwerker das Sagen haben. Ihre Autos parken dort. Hin und wieder steht auch ein Container herum, in dem Schutt abgeladen wird.
Die Propsteikirche St. Kornelius selbst ist immer noch nicht im Inneren wiederhergestellt. Ähnlich sieht es bei vielen denkmalgeschützten Häusern aus, weiß Marion Löhmann. Einige sind gerade erst mit dem Trocknen fertig, das Sanieren solcher historischer Häuser dauert halt länger, sagt die Mitarbeiterin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Aachen.
Sie begleitet, berät und unterstützt rund 40 Haushalte in der Bewältigung der Folgen, welche die Flut bei ihnen hinterlassen hat. Hilfreich zur Seite steht ihr immer wieder Veronika Rütters-Kreiten von der Pfarrcaritas der Gemeinschaften der Gemeinden Aachen-Kornelimünster/Roetgen. Die Ehrenamtliche war wie ihre Tochter mit ihrem denkmalgeschützten Haus in Kornelimünster betroffen und hat viele Kontakte für die SkF-Mitarbeiterin angebahnt.
Marion Löhmann kann sich ebenfalls in besonderer Weise in die Situation der Betroffenen hineinfühlen, denn auch sie hat die unfassbare Katastrophe am eigenen Leib erlebt, an einem anderen Ort. Ihr Mann und sie wohnten in einem frisch renovierten, schön ausgestatteten Eigenheim in Eschweiler-Mitte, als die Wassermassen innerhalb von Stunden alle Mühen zunichtemachten. Marion Löhmann kennt den ganzen endlosen Hürdenlauf, der sich diesem traumatischen Ereignis anschließt, von A bis Z aus eigener Anschauung.
Und der geht so: Zuerst funktioniert man wie in Trance und im Tunnel, schleppt, schippt, säubert rund um die Uhr. Alles Nasse muss raus aus Keller und Erdgeschoss. Wenn es gut läuft wie im Aachener Süden, gibt es eine beglückende Solidarität von Freundinnen und Freunden, Verwandten, Nachbarinnen und Nachbarn, aber auch Wildfremden aus der Region oder sogar aus fernen Landstrichen. Es gibt so unendlich viel zu tun im ersten Moment, im wörtlichen Sinne anzupacken, dass jede Hand willkommen ist.
Dann kommt das, was Betroffene wie Marion Löhmann und die Leute im Aachener Süden an und über die Grenzen der Belastbarkeit führt: die Frage des Wiederaufbaus und wie er finanziert wird. Man wird ungewollt zum Bauherrn, muss so viele Entscheidungen diskutieren und treffen, Gutachten, Genehmigungen und Angebote einholen, Gegenstände auswählen, Handwerksbetriebe finden und beauftragen und, und, und. Dieser steinige Weg fordert enorm Kraft, alles kommt auf den Alltag drauf.
"Vielen droht zwischendurch finanziell oder emotional die Luft auszugehen", skizziert Marion Löhmann die Lage. Das gilt auch für einen Menschenschlag, der gerne alles unter sich regelt und die Hilfe fremder Personen nicht so gerne annimmt. Als die SkF-Mitarbeiterin eine längere Liste von Personen anrief, um zu hören, wie es so geht und ob was zu tun ist, hieß es oft: Wir haben es hier ja noch gut getroffen, im Ahrtal sieht es doch viel schlimmer aus. Aber in Wahrheit war und ist es nicht gut.
Gerade, weil sie es aus eigener Anschauung kennt, weiß sie das. Monate über Monate läuft man als Betroffene in einem Hamsterrad, sind die Folgen der Flut das beherrschende Thema, jeden Tag, jede freie Stunde. Man sieht nicht immer das Licht am Horizont, so anstrengend ist das. Kommt noch etwas dazu, ist man über dem Limit. Betroffene rufen an, weil sie sich mit den Zensus-Interviews überfordert fühlen - "auch das noch", sagen sie. Ein kleines Beispiel vom Leben am Limit.
Jetzt bestimmt die Bürokratie auch den Arbeitsalltag von Marion Löhmann, bleibt für den so nötigen zwischenmenschlichen Austausch häufig wenig Zeit. Denn neben den Direkthilfen der Caritas, deren Beantragung die SkF-Mitarbeiterin inzwischen aus dem Eff-Eff unterstützen kann, treten nun die öffentlichen Wiederaufbauhilfen. Das ist eine ganz andere Nummer, zumal es noch viele andere Sachthemen in den Beratungsgesprächen gibt in der Gemengelage zwischen Eigentümerinnen und Eigentümern, Versicherungen, Gutachterinnen und Gutachtern, Denkmalbehörden, Handwerks- und Installationsbetrieben und, und, und.
Es wird dauern, bis die neue Realität zum Vertrauten wird. Aus eigener Erfahrung weiß Marion Löhmann, dass sich auch nach getaner Arbeit alles anders, fremd oder falsch anfühlt. Denn es war ja schon vorher schön gewesen, richtig und gut. Das Wasser hat das alles zunichtegemacht. Sowohl in Eschweiler als auch in Kornelimünster beobachtet sie aber auch, wie gut es tut, Zwischenschritte und Erfolge zu feiern. Die Menschen brauchen positive Zeichen, um Kraft zu gewinnen und Zuversicht zu bewahren. Caritas, Vereine und öffentliche Hand sollten diese Zeichen mitgestalten.
Autor: Thomas Hohenschue