Und dann schaffen sie es doch nicht aus eigener Kraft
Dorothea Gehlen, Annette SchäferThomas Hohenschue
Die Eifel steht in vielfacher Sicht für guten Zusammenhalt. Das hat sich auch und gerade in der Flutkatastrophe gezeigt. Die Nachbarschaftshilfe und die familiären Netze haben eine Stärke bewiesen, die ihresgleichen sucht. Hinzu kamen Helferkreise aus nah und fern, die mit großem Engagement in den ersten Tagen, Wochen, Monaten anpackten. Bis heute gibt es solche privaten Initiativen. Und es gibt die Wohlfahrtsverbände wie den Caritasverband für die Region Eifel in Schleiden.
Auch einige von ihnen haben Zusammenhalt bewiesen und in einem Haus der Malteser in Gemünd ein gemeinsames Hilfszentrum eröffnet, betrieben von Maltesern, Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Diakonie. Dieses Zentrum etablierte sich rasch als eine wichtige Anlaufstelle, in denen Betroffenen rasch, unbürokratisch und passgenau weitergeholfen werden konnte und kann.
Jetzt, ein Jahr später, hat sich der Fokus ihrer Arbeit etwas verschoben, berichten die Caritas-Mitarbeiterinnen Dorothea Gehlen und Annette Schäfer. Zunehmend wird sichtbar, dass viele Betroffene den Weg ins Zentrum scheuten und scheuen. Es ist ein wenig typisch Eifler, sagen sie: Man hilft sich hier allein, man regelt es unter sich.
Aber mancher stellt inzwischen fest: Aus eigener Kraft klappt es doch nicht mit der Bewältigung der Flutfolgen. Viele sind überfordert mit der komplexen Herausforderung, den ganz persönlichen Wiederaufbau zu managen, mit all der Koordination, mit all der Bürokratie, mit all den finanziellen und rechtlichen Fallstricken. Und längst nicht jeder hat ein gut funktionierendes Netz um sich herum, das die Dinge mit übernimmt.
Die Schwelle, sich das einzugestehen, ist groß, gerade in den gut situierten Mittelschichten, welche aber wie alle anderen auch vor geplatzten Träumen und angespannten Finanzen stehen. Meistens hilft es den Betroffenen, dass Bekannte, Freunde, Familie in ähnlicher Situation eine positive Erfahrung mit der Caritas gemacht haben. Die Berichte davon sind der Türöffner, es einmal mit dem Wohlfahrtsverband zu versuchen. Das geht dann meistens so: "Ich habe gehört, Sie haben geholfen. Können Sie mir auch helfen? Machen Sie auch Hausbesuche?" Niemand möchte vermeintlich das Gesicht verlieren, indem er bei Tageslicht in eine Beratungsstelle geht.
Dabei sind die Betroffenen nicht allein. Dorothea Gehlen und Annette Schäfer beraten und begleiten unabhängig vom Einkommen, wie es auch einen Rechtsanspruch auf öffentliche Wiederaufbauhilfe ungeachtet des Vermögens gibt. Sie beobachten bei Wohlhabenden allerdings häufig eine gewisse Zurückhaltung, sich ganz offenzulegen bei den Anträgen, aus verschiedenen Gründen. Und die Restmittelbezuschussung durch Caritas International kommt häufig nicht in Frage, wegen der Bedürftigkeitsprüfung.
Solche Luxusprobleme haben die Personengruppen, um die sich Caritas insbesondere kümmert, allerdings nicht. Im Gegenteil bereitet es den Beraterinnen große Sorgen, dass die Flut gleich nach der Pandemie wirtschaftlich und sozial Benachteiligten in der Eifel völlig den Teppich unter den Füßen weggezogen hat. Hier macht sich ein riesiges soziales Problem auf.
Offen gestehen die Caritas-Mitarbeiterinnen, dass sie selbst teilweise nicht wissen, wo und wie isolierte alte Menschen, Wohnsitzlose, Asylbewerberinnen und -bewerber und einige andere Gruppen am Rande der Gesellschaft heute wohnen. Lebten sie schon vor der Katastrophe in prekären Bedingungen, wurden nun auch ihre Wohnungen zerstört oder kontaminiert, auch sie verloren persönliche Sachen, und Treffpunkte sind von der Landschaft verschwunden. Auch die Menschen sind zum Teil einfach weg, gerieten mit der Flut aus dem Blick.
Um die Zukunftsaussichten dieser benachteiligten Mitbürgerinnen und Mitbürger machen sich Dorothea Gehlen und Annette Schäfer große Sorgen. Werden sie noch bezahlbaren Wohnraum finden, wenn im großen Stil die Wohnhäuser in den Tälern saniert und modernisiert werden? Wo gibt es Arbeit? Wo gibt es gesellschaftlichen Anschluss und kulturelle Teilhabe?
Das Problem ist größer. Schon die Mittelschichten wissen angesichts anziehender Inflation und galoppierender Energiepreise teilweise nicht mehr so recht, wie es weitergeht. Die Wiederaufbauhilfe des Landes wird bei ihnen, in Ergänzung zu den Versicherungen, den materiellen Fall etwas lindern. Bei den Traumata, welche der Alptraum jener Tage hinterlassen hat, kann das jedoch auch ihnen nicht helfen. Der Bedarf an psychologischer Hilfe ist riesig.
Da bereits vor der Flut die Versorgung durch Fachleute unzureichend war, besteht hier ein gewaltiger und eiliger Nachholbedarf in der sozialen Infrastruktur, analysieren die Caritas-Mitarbeiterinnen. In so vielen Gesprächen, die sie führen, geht es nicht allein um Bürokratie, Geld, Baustelle. Tief innendrin sind unabhängig von all dem große Unsicherheiten und Ängste. Bei jedem starken Regen können sie hochkommen. Oder sie hinterlassen fatale Spuren im seelischen Allgemeinbefinden. Die Flut fordert so das Gemeinwesen, die Kommunen, die Wohlfahrtsverbände in der Nordeifel auf die nächsten Jahre hin erheblich heraus.
Autor: Thomas Hohenschue