Caritas-Frühförderung platzt aus allen Nähten
Tanaya (M.) kommt regelmäßig mit ihrer Mutter zur Caritas-Frühförderung in Rheydt. Sabrina Baumann (r.) leitet sie.
Seit Oktober 2022 kommt die zweieinhalbjährige Tanaya mit ihrer Mutter Alicia Schmitz (29) wöchentlich in die Frühförderung der Caritas Mönchengladbach an der Urftstraße in Rheydt. Heilpädagogik, Physiotherapie und Ergotherapie erhält das Mädchen mit dem blonden Lockenkopf dort. Wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung hat es einen komplexen Förderbedarf. "Tanaya freut sich immer auf die Stunden und hat jedes Mal viel Spaß. Durch die Frühförderung soll die bestmögliche Entwicklung ermöglicht werden, damit sie später einmal die größtmögliche Selbstständigkeit und Teilhabe erfahren kann", sagt die Mutter.
In der Turnhalle des Frühförderzentrums, das die Caritas im Herbst 2021 in angemieteten Räumen in einem Neubau der WohnBau bezogen hat, hat sich Sabrina Baumann, die Leiterin des Zentrums, mit Tanaya und ihrer Mutter in eine Ecke zurückgezogen. Das Mädchen hockt gemeinsam mit der Mutter auf dem Boden. Ihr gegenüber sitzt Sabrina Baumann auf dem Boden. Sie hält dem Mädchen große, schwarz-weiß gedruckte Bücher vor, so genannte Kontrast-Bilderbücher. Abgebildet sind große Zeichnungen mit klaren Formen, die zum Beispiel Tiere wie einer Katze oder Gegenständen wie ein Lätzchen zeigen. "Kontrastreiche Motive fördern insbesondere bei Babys und Kleinkindern die visuelle Wahrnehmung, da sie zum einen die Fokussierung erleichtern, zum anderen leichter für die Kinder erkennbar sind. Tanayas Sehvermögen ist eingeschränkt und sie leidet unter Strabismus, umgangssprachlich würde man von Schielen sprechen. Daher profitiert auch sie als etwas älteres Kind noch von der Arbeit mit diesen Büchern", sagt die Leiterin des Frühförderzentrums.
Im Frühförderzentrum erhalten Kinder bis zum Schuleintritt heilpädagogische, ergotherapeutische, logopädische und physiotherapeutische Förderung und Therapie. Derzeit betreut es rund 180 Kinder, die von 15 eigenen und elf Mitarbeitenden der Kooperationspartner des Zentrums gefördert und diagnostiziert werden. Insbesondere in den vergangenen fünf Jahren ist die Nachfrage nach Frühförderung in Mönchengladbach kontinuierlich gestiegen, so dass das Frühförderzentrum im Sommer 2023 zunächst für fünf Jahre eine Dependance an der Bendhecker Straße angemietet hat. Die ist etwa dreieinhalb Kilometer vom Frühförderzentrum entfernt und verfügt auf 120 Quadratmetern über drei Therapieräume, Wartebereich, Aufenthaltsraum und Sanitäranlagen. "Wir haben uns dazu entschlossen, obwohl die Finanzierung des Angebots durch die Kostenträger nicht ausreichend ist und unser Verband erhebliche Eigenmittel einsetzen muss", sagt Frank Polixa, Geschäftsführer der Caritas Region Mönchengladbach.
Die Nachfrage nach Frühförderung sei aus verschiedenen Gründe gestiegen, sagt Polixa. "Die Corona-Pandemie hat in zahlreichen Familien nachhaltige Spuren hinterlassen. Dazu gehört etwa stark gestiegener Medienkonsum bei Kindern. Hinzu komme, dass viele Familien recht isoliert leben und sozial nicht eingebunden seien. Das gelte vor allem bei in den vergangenen zehn Jahren zugezogenen Familien. "Es scheint zudem, dass viele Familien das Gefühl dafür verloren haben, wie der Alltag gut gestaltet werden kann", sagt Caritas-Bereichsleiterin Hildegard van de Braak. Die Folge seien zahlreiche Beeinträchtigungen im sozial-emotionalen Bereich sowie "Sozialisationsdefizite" der Kinder: "Sie können Regeln nicht einhalten und sich selbst nicht gut strukturieren", so van de Braak. Zudem kommt etwa ein Viertel der Kinder mit Autismus oder dem Verdacht auf Autismus in die Caritas-Frühförderung.
Alicia Schmitz ist froh, dass sie bereits im ersten halben Jahr nach der Geburt von Tanaya vom Sozialpädiatrischen Zentrum an den Städtischen Kliniken Mönchengladbach den Hinweis auf die Frühförderung der Caritas erhielten. Dort werde individuell auf Tanayas Bedürfnisse eingegangen Eltern bekämen viele Tipps für zuhause. "Mit jeder Förderung zeigen sich kleine Veränderungen. Besonders schön ist, dass auch kleinste Fortschritte bei Tanaya gesehen werden und ich als Elternteil dadurch in meiner Wahrnehmung bestätigt werde", sagt Alicia Schmitz. Das Angebot der Frühförderung eröffne den Kindern Teilhabechancen, erläutert Sabrina Baumann. "Die verschiedenen Einschränkungen führen dazu, dass die Kinder und ihre Familien in unterschiedlichsten Lebensbereichen nicht ebenso partizipieren können, wie andere. Ziel ist es also, Barrieren abzubauen", ergänzt sie.
Alica Schmitz gefällt, dass die Mitarbeitenden in der Frühförderung mit ganz viel Herz und Leidenschaft arbeiten. "Das merkt man. Der Beruf ist hier Berufung, und Inklusion und Teilhabe werden gelebt. Meine Tochter wird hier als der Mensch Tanaya gesehen, und nicht als die Behinderung", sagt die Mutter.