„Bildung von Migranten geht nicht mit Homeschooling“
Lena Winter hat als Leiterin des Fachdienstes Migration des Caritasverbandes für die Region Eifel viel mit geflüchteten Menschen und enrenamtlichen Helfern zu tun, die sich in diesem Feld engagieren.RCV Eifel
REGION EIFEL Nach ihrem Master-Abschluss arbeitet die 27-jährige Sozialarbeiterin Lena Winter seit 2016 beim Caritasverband für die Region Eifel. Zunächst war sie in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe der Caritas in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Ausländer. Seit dem 1. November 2017 leitet sie den Fachdienst Migration des Verbandes.
Frau Winter, ist das Umgehen mit der Pandemie mit Menschen mit Migrationshintergrund anders als mit Einheimischen?
Lena Winter Es ist eher nicht das Problem zu erklären, was das Corona-Virus ist, wie man sich infiziert und wie man sich schützten kann. Von den kommunalen Integrationszentren werden wir da auch gut unterstützt, zum Beispiel durch Übersetzungshilfen. Grundsätzlich anders ist allerdings, dass wir unsere Beratungsstrukturen nicht einfach so auf Telefonberatung umstellen können, wie es andere Beratungsstellen tun. Das ist der Sprache geschuldet. Wir haben viele Menschen, die die Sprache nicht verstehen, und daher ist eine Telefonberatung nicht immer möglich. Wir haben Menschen mit Ängsten. Auch da ist Telefonberatung nicht angezeigt. Wir haben Videoberatung wie andere Dienste über Videotools wie BlueJeans versucht. In einigen Fällen funktioniert das gut, in anderen nicht. Der Nutzer muss nämlich die entsprechende App installieren und verstehen, wie das geht. Und dann geht es ja auch hier nicht ohne die Sprache. Das ist schon eine Herausforderung.
Wie viele der Menschen, die die Migrationshilfe der Caritas in der Eifel betreut, sind denn der deutschen Sprache so weit mächtig, dass sie den Dingen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus ohne Übersetzungshilfe folgen können?
Winter Ich würde sagen, dass 40 Prozent von Ihnen die Sprache so weit beherrschen, dass sie sich auch alleine zurechtfinden.
Und die anderen 60 Prozent?
Winter Sie brauchen Übersetzungshilfe und Unterstützung in der Form, dass etwa Informationen weitergeleitet werden. Wir können ja die Mails, die wir bekommen, nur an diejenigen weiterleiten, von denen wir eine Mailadresse haben. Und das sind längst nicht alle. Hinzu kommt: Wenn wir mit digitalen Informationen arbeiten, müssen sie auch erst einmal verstanden werden. Und wenn wir anrufen, müssen auch erst einmal Personen in der Nähe sein, die für einige Geflüchtete die Informationen, die wir am Telefon geben, übersetzen können.
Stellen Sie einen höheren Beratungsbedarf fest?
Winter Definitiv. Vor allem bei einem harten Lockdown, wie wir ihn jetzt wieder haben und Anfang des Jahres auch hatten. Für Geflüchtete ist das schwierig. Viele Türen, auch die der Ämter, sind dann zu. Und da muss man halt kreativ sein, um zu schauen, wie man die Leute erreicht und wie umgekehrt die Geflüchteten auch ihre Ansprechpartner erreichen. Das geht nur über Termine, wobei ja die Corona-Einschränkungen auch nicht viele Begleitpersonen zulassen. Vor allem beim ersten Lockdown hatten wir die Schwierigkeiten, dass solche Termine dann wegen Kleinigkeiten geplatzt sind, weil die Geflüchteten zum Beispiel keine Masken dabeihatten. Das ist nun alles kein Problem mehr. Die Menschen wissen: Wenn sie zu uns kommen, müssen die Maske tragen. Die Tür ist verschlossen. Sie müssen klingeln.
Von Geflüchteten hört man, sie halten untereinander mit Geflüchteten aus dem gleichen Herkunftsland oder mit Menschen, die sie auf der Flucht kennengelernt haben, sehr eng zusammen. Das ist unter Corona-Bedingungen nicht so einfach. Wie geht die Caritas damit um, wie gehen Geflüchtete damit um?
Winter In der Tat ist die größte Herausforderung, die wir haben, das Thema, Brücken zu bauen. In der Community der Geflüchteten ist es tatsächlich so, dass sich Gleich zu Gleich gerne gesellt, was auch völlig verständlich ist. Das ist zurzeit sehr, sehr schwierig. Wir betreuen ja auch die Zentrale Unterbringungseinheit auf Vogelsang. Da sind Kontakte grundsätzlich einfacher. Aber die steht zeitweise immer wieder in Teilen unter Quarantäne. Und die ist für die Menschen eine psychische Belastung. Sie haben kaum Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Und unsere größte Herausforderung ist es da, zu schauen, wie sich die Geflüchteten zugehörig fühlen zu anderen Geflüchteten, aber auch zu den Nachbarn, neben denen sie hier leben.
Und wie machen Sie das?
Winter Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Im Moment, im harten Lockdown, ist das schwierig. Wenn wir keinen Lockdown hätten, würden wir Begegnungsmöglichkeiten schaffen. In den Zentralen Unterbringungseinheiten wie auf Vogelsang ist das jetzt noch einmal etwas anderes, wenn nicht gerade Teile in Quarantäne sind. Aber in der kommunalen Arbeit sind solche Begegnungen zurzeit gar nicht möglich. Begegnungscafés dürfen nicht mehr stattfinden, selbst Deutschkurse sind teilweise abgesagt. Geflüchtete, die keine Beschäftigung haben, sitzen in den Kommunen teilweise isoliert zu Hause. Nach unserer Auffassung ist es nicht gut geregelt in Bezug auf die Geflüchteten, die hier komplett alleine sind, die keine Familie haben. Das sind psychische Belastungen. Die Leute kommen hier an und kennen die Sprache nicht. Wer dann noch in dieser Situation in Quarantäne muss, ist völlig aufgeschmissen. Die Leute verstehen das erst einmal nicht. Warum muss ich in Quarantäne?
Gab es unter den Geflüchteten Infizierte?
Winter Ja, wir hatten einige Fälle. In Mechernich ist unser Beratungsbüro in einem kommunalen Camp. Dieses Camp stand zwei Wochen unter Quarantäne, weil die Hälfte der dort lebenden Menschen Corona hatte. Und in der Zentralen Unterbringungseinheit auf Vogelsang gibt es bei 300 Menschen immer einen Infizierten. Dort gibt es einen isolierten Quarantäne-Bereich. Dort sind immer Menschen drin, weil ein Infektionsverdacht besteht oder sie gerade neu zugewiesen wurden.
Wirft Corona Ihre Arbeit in der Migrationshilfe auch zurück?
Winter Auf jeden Fall. Im besten Falle können wir erst weitermachen, wenn das Virus soweit im Griff ist, dass Beschränkungen aufgehoben werden. Im schlimmsten Falle sind die Menschen auf null zurückgefahren. Beispiel Sprache: Wenn Geflüchtete die Sprache erlernt haben, jetzt keine Kurse stattfinden und sie das Erlernte nicht anwenden können, bringt das nichts. Sie können komplett wieder von vorne anfangen. Und die Isolation nimmt zu. Wir wissen es ja selber: Wenn wir uns bei einer Person lange nicht gemeldet haben, sind soziale Kontakte weg.
Wenn Schulen oder Kitas geschlossen sind, wie sieht es dann aus mit der Betreuung der Kinder von Geflüchteten?
Winter Nehmen wir einmal das Beispiel von Geflüchteten, die Arbeit haben. Wenn Schulen zu sind, sind auch unsere Klienten nicht in der Lage zu überlegen: Wo gebe ich jetzt das Kind hin, damit ich arbeiten gehen kann? Sie haben ja keine Kontakte. Also waren sie gezwungen, bei den Kindern zu Hause zu bleiben. Ich erinnere mich an eine Mutter mit einem behinderten Kind. Die wollte ihren Deutschkursus zum zweiten Mal machen, weil der erste abgesagt worden war. Das war ihr nicht möglich, weil sie keine Kinderbetreuung gefunden hat. Normalerweise fangen wir solche Situationen mit dem Ehrenamt auf. Aber aus Schutzgründen ist das Ehrenamt ja auch zurückgefahren worden.
Die Ehrenamtler, die in der Migrationsarbeit tätig sind, gehören eher zur älteren Generation?
Winter 90 Prozent der rund 80 Ehrenamtlichen gehören zur Generation Ü50. Darunter sind auch viele, die Risikogruppen angehören. Vereinzelt haben wir auch junge Leute.
Wie reagieren die Ehrenamtlichen darauf, dass sie derzeit nicht so tätig werden dürfen, wie sie wollen?
Winter Sie verstehen, dass wir die Schutzmaßnahmen für sie ergreifen. Aber viele möchten natürlich von sich aus aktiv werden, und die sagen dann, ich trage auch eine Maske und ich schütze mich ganz dolle.
Schulen stellen in der Pandemie Schulmaterialien über entsprechende Tools zur Verfügung. Wie gehen Geflüchtete damit um?
Winter Solche Fragen tauchen bei uns in der Beratung auf. Eltern wollen die Tools erklärt bekommen, und dann nehmen wir uns der Dinge auch an. Kinder lernen ja die Sprache sehr schnell. Aber dafür muss erst einmal zu Hause das WLAN eingerichtet werden. Da ist schon einmal ein großes Problem. Und viele haben auch gar kein WLAN. Die machen das dann über das Handy und zahlen monatlich Gebühren. Teilweise schickt der Lehrer den Schülern Materialien per Mail. Also muss erst eine Mail-Adresse vorhanden sein. Das ist nicht überall so. Die Kinder haben Fragen, weil sie etwas nicht verstehen, aber die Eltern können nicht helfen. Diese Eltern müssen quasi die Bildung ihrer Kinder auffangen, können aber selber nicht für ihre eigene Bildung sorgen. Bildung von Migranten geht nicht mit Homeschooling.
Hat die Pandemie auch positive Auswirkungen?
Winter Vieles blieb ja auch liegen. Ämter konnten vieles nicht so umsetzen, wie sie müssen. Also ist das Positive an dieser Pandemie, dass in vielen Fällen Zeit geschenkt worden ist, die wir auch in der Weise nutzen konnten, dass einige nun hinsichtlich des Risikos einer Abschiebung besser dastehen als vor der Pandemie.
Info
Der Fachdienst Migration des Caritasverbandes für die Region Eifel betreut rund 800 Geflüchtete im Einzugsgebiet von Mechernich bis Roetgen. In dem Fachdienst sind sieben hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig, davon zwei in der Zentralen Unterbringungseinheit auf Vogelsang im Beschwerdemanagement und in der Verfahrensberatung; eine Mitarbeiterin ist für Kall/Schleiden, eine Mitarbeiterin für Simmerath/Monschau und ein Mitarbeiter für Mechernich zuständig; zudem sind zwei Mitarbeiter für das Teilhabemanagement für Kall, Mechernich und Schleiden verantwortlich. In dem Fachdienst engagieren sich zudem 80 Ehrenamtliche.