„Bindungen in der Pandemie erhalten“
Peter Krosch leitet beim Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land das Referat, das für die Wohnungslosenhilfe zuständig ist.RCV Aachen
REGION AACHEN Seit September 2016 arbeitet der Diplom-Sozialarbeiter Peter Krosch beim Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land. Er leitet dort das Referat Eingliederung, in dem auch die Hilfen des Verbandes für Wohnungslose organisiert sind.
Herr Krosch, wann haben Sie im Laufe der Pandemie gedacht, dass die Situation auch die Wohnungslosen schwer treffen würde?
Peter Krosch Das war uns von Beginn an klar. Wir haben es mit einer Klientel in prekärer Situation zu tun, und da wissen wir, dass für diese Klientel auch die gesundheitliche Situation ohnehin schon schwierig, in einer pandemischen Lage aber noch ungleich komplizierter ist.
Haben das die Betroffenen zu diesem Zeitpunkt auch so gesehen?
Krosch Nein, das war der professionelle Blick. Für unsere Klientel wird eine Situation erst dann deutlich, wenn sie auch erlebbar ist. Das war dann beim ersten Lockdown so, als sich auch für unsere Klienten in ihrem Lebensumfeld Dinge verändert haben.
Was denn?
Krosch Schauen wir zum Beispiel auf die klassischen Obdachlosen, die auch in der Stadt betteln. Ihre Einnahmesituation wurde drastisch schlechter, da viel weniger Menschen auf der Straße waren. Dann musste die Franziska-Schervier-Stube ihr Frühstücksangebot für Obdachlose in Aachen wegen eines Corona-Falls einstellen. Es hat dann einige Tage gedauert, bis wir dieses Angebot übernehmen konnten. Wegen der Pandemie konnten wir auch unsere Notschlafstelle im Café Plattform, die über 6- bis 8-Bett-Zimmer verfügt, aufgrund der Vorschriften des Infektionsschutzes nicht mehr nutzen. Kurzfristig und mit großer Unterstützung der Stadt Aachen haben wir dann ein Ausweichquartier in der Turnhalle an der Beginenstraße bezogen.
Diese Halle nutzen Sie immer noch?
Krosch Nein. Wegen der Entspannung im Sommer und der Wiederaufnahme des Schulunterrichtes mussten wir die Halle räumen. Wir sind aber mit der Notschlafstelle im alten Schulgebäude an der Beginenstraße untergekommen. Dort sind wir bis heute noch und können dort unser Angebot auch unter Infektionsschutzgesichtspunkten aufrechterhalten.
Gab es eigentlich unter den Wohnungslosen Todesfälle infolge der Corona-Pandemie?
Krosch Todesfälle sind uns bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Wir hatten einige Klienten und Besucher, die infiziert gewesen sind.
Was möchte die Caritas in der Pandemie für die Obdachlosen erreichen?
Krosch Wir möchten Bindungen, die wir zu diesen Menschen haben, auch in der Pandemie erhalten. Während es in der Gesellschaft eher die Frage gab, ob Obdachlose noch ausreichend versorgt sind und genug zu essen haben, geht es uns darum, Beziehungen zu ihnen aufrechtzuerhalten. Nur über Bindungen haben wir die Chance, gemeinsam mit diesen Menschen an Veränderungsprozessen zu arbeiten. Reine Almosen-Gaben würden die prekäre Situation nur verschärfen.
Sie würden also nicht dazu raten, bettelnden Menschen in einer Pandemie mehr zu geben als normal?
Krosch Wir finden es immer gut, wenn Bürger, die auf Personen treffen, die betteln, das Gespräch mit diesen Menschen suchen. Denn ein Gespräch gegen die Beziehungsarmut hilft oft viel mehr als 50 Cent oder ein Euro. Die anonyme Gabe eines Euros verschafft demjenigen, der bettelt, zwar einen Euro. Die Kehrseite ist aber oft, dass sich der Mensch damit nicht zwingend das anschafft, was hilfreich ist. Das Gespräch aber mit dem Hinweis auf die Hilfsangebote, die es gibt, kann da viel mehr Hilfe sein.
Caritas-Arbeit lebt sowohl vom Hauptamt, als auch vom Ehrenamt. In einer pandemischen Situation haben Sie als hauptamtlicher Caritas-Mitarbeiter natürlich auch einen Schutzauftrag für Ehrenamtler. Wie geht die Caritas in Aachen und in der Städteregion damit um?
Krosch Das war für uns eine Herausforderung. Wir haben viele ehrenamtlich Engagierte, auch im Café Plattform. Und darunter waren Personen, die zur Risiko-Gruppe gehören. Da haben wir zunächst die direkten Kontakte eingeschränkt, um die Helfenden zu schützen. Als wir dann das Frühstücksangebot der Schervier-Stube übernommen haben, haben wir Ehrenamtler wieder derart eingebunden, dass sie geholfen haben, Brötchen zu schmieren und das Frühstück auszugeben. Es war ein Herantasten, wie es funktionieren könnte, das Angebot aufrecht zu erhalten, die Ehrenamtler aber weiterhin einzubinden.
Haben Sie in der Pandemie gemerkt, dass da ein soziales Problem aufploppt, auf das die Freie Wohlfahrtspflege immer wieder hingewiesen hat, das aber nie angegangen wurde?
Krosch Die Frage der geeigneten Standards in einer Notunterkunft ist so ein Beispiel. Wir hatten im Café Plattform hinsichtlich der Unterbringung von Frauen aufgrund der Platzverhältnisse ein Problem. Das konnte sich jetzt durch die Unterkünfte an der Beginenstraße etwas verbessern. Ein Zweites: Wir haben zu Beginn der Pandemie, als alle über die Frage diskutiert haben, welche Bereiche denn systemrelevant seien, den Eindruck gehabt, dass die Wohnungslosenhilfe ein wenig untergegangen ist. Die Frage, welche Wichtigkeit es hat, solche Angebote aufrechtzuerhalten, wurde kaum gestellt. Wir haben uns aber in der Verantwortung gesehen, diese Angebote zu erhalten, um die Situation für die Betroffenen nicht noch weiter zu verschärfen.
Was haben Sie persönlich aus der pandemischen Situation im Hinbick auf Ihre Aufgabe und Ihre Klientel gelernt?
Krosch Für mich hat sich noch einmal bestätigt, wie wichtig unser Beziehungsangebot für die Menschen ist. Die Menschen haben es sehr wertschätzend aufgenommen, dass wir auch in dieser außergewöhnlichen Situation für sie ansprechbar waren. Festgestellt haben wir aber auch, dass immer mehr Leistungen auch für unsere Klientel digital angeboten werden. Und da fürchten wir, dass diese Menschen abgehangen werden könnten, weil die Möglichkeiten und die Kompetenzen schlicht fehlen. Das sehen wir aber als Auftrag, uns da gemeinsam mit den Klienten entsprechend auf den Weg zu machen. Wie können Menschen, die auf der Straße leben, die in prekären Situationen leben und Angelegenheiten mit Behörden zu regeln haben, dies auch digital tun? Das ist auch für uns Neuland und ein Thema, das uns in unseren Beratungsstellen vermehrt begegnet.
Info
Die Caritas Aachen verzeichnet im Café Plattform 40 bis 60 Besucher pro Tag; im Café Troddwar, einem Angebot der Suchthilfe, sind es bis zu 100 Besucher täglich. In der Notübernachtung hat die Caritas täglich zwischen 25 und 30 Personen zu Gast.