In der Abwärtsspirale der Wohnungslosigkeit zu leben, ist niemandes Lebensentwurf
Mark Krznaric und Laurids Elsing haben täglich mit wohnungslosen Menschen zu tun. Die beiden Sozialarbeiter der Aachener Caritas kennen viele Lebensläufe, die sich mit Gästen des Café Plattform verbinden. Ihr Fazit: Niemand soll sich in Sicherheit wiegen, dass ihm nicht Ähnliches widerfährt. Auch gut situierter Mittelstand ist unter den Wohnungslosen. Schicksalsschläge und Fehlentscheidungen führten die Betroffenen in prekäre Verhältnisse, aus denen sie sich nicht befreien können. Begleiterscheinungen wie Suchterkrankungen erschweren die Situation.
Laurids Elsing (l.) und Mark Krznaric kennen viele Lebensläufe, die sich mit Gästen des Café Plattform verbinden.Thomas Hohenschue
An dieser Stelle hebt nach Beobachtung von Mark Krznaric und Laurids Elsing ein Teil der Gesellschaft den Finger und kommt zu dem Punkt: Diese Menschen haben es sich in ihrer Lebenslage eingerichtet, verharren untätig darin, kassieren üppiges Bürgergeld und belästigen Passanten. Politische Polemik befeuert das Vorurteil, dass die Betroffenen selbst schuld seien und für ihre Untätigkeit auch noch belohnt würden. Auch manche Geschäftsleute trommeln gerne gegen Wohnungslose, weil sie in ihren Augen das Stadtbild und die Sicherheit stören.
Gutes Rezept für gelingendes Zusammenleben
Wo es in einer Nachbarschaft Probleme gibt, muss man miteinander reden und Lösungen suchen. Dieses gute Rezept für gelingendes Zusammenleben gilt in den Augen der Sozialarbeiter auch bei wohnungslosen Menschen. Das klappt, haben Mark Krznaric und Laurids Elsing bei der Etablierung des Café Plattform am neuen Standort Reumontstraße erlebt. Ursprüngliche Bedenken haben sich durch offene Information und konstruktive Gespräche aufgelöst. Der Betrieb des Treffpunktes mit all seinen Beratungs- und Hilfsangeboten läuft geräuschlos.
Im Café Plattform wird mit Herzblut gearbeitet, ohne Romantisierung, mit Regeln, die für alle gelten. Das erfordert Klarheit in der Kommunikation. Das Team reflektiert fortlaufend, wie die Dinge laufen. Und es hat klar: Es sind gewaltige strukturelle Probleme, mit denen Wohnungslose zu kämpfen haben, vor allem auf dem Wohnungsmarkt. Der Wohnraum verknappt sich stetig, die Mieten verteuern sich ins Unbezahlbare, Inserate grenzen Wohnungslose aus, fokussieren zum Beispiel auf Studierende. Die Konkurrenz mit denjenigen, die eine bessere Selbstauskunft vorweisen können, ist riesig.
Wohnungslose leiden an Klischees
Die wohnungslosen Menschen leiden an den Klischees, manche kapitulieren auch, igeln sich ein in der Ecke, in die sie Jahrelang gedrückt wurden. Dabei sind sie gleichrangige Bürgerinnen und Bürger der Stadt, betonen Mark Krznaric und Laurids Elsing. Sie haben dieselben Rechte wie alle anderen, sie dürfen sich überall aufhalten wie andere, auch wenn ihr Aussehen oder Auftreten nicht bürgerlichen Vorstellungen entspricht, etwa wenn sie psychisch krank oder suchtkrank sind. Es ist auch ihr gutes Recht, wie das aller Leute, nicht gut drauf zu sein.
Das Café Plattform nimmt die Menschen in ihrer Situation ernst, gibt ihnen eine Chance, sich zu treffen, ohne dass sie schräge Blicke oder gar Repressalien zu befürchten haben. Sie erhalten dort die Postadresse, die sie für Korrespondenz brauchen. Irgendwo findet sich auch ein Platz, um sich um bürokratische Dinge an einem PC zu kümmern oder gar an Bewerbungen zu feilen. Wo sonst sollten die Menschen dies tun können? Ohne Geld geht wenig in dieser Stadt, weder soziale Teilhabe noch die Entwicklung neuer beruflicher und finanzieller Perspektiven. Dabei ist klar: Es ist niemandes Lebensentwurf, in dieser Abwärtsspirale festzustecken.
Das Projekt "Querbeet" schlägt eine der seltenen Brücken in ein Leben, das bürgerlichen Vorstellungen eher entspricht. Wohnungslose rücken täglich aus, bepflanzen und pflegen Beete in der Stadt. Für diese Arbeit ernten sie immer wieder hohe Wertschätzung und sie sind selbst stolz darauf. Hier zeigen sie, dass sie etwas zur Stadtgesellschaft beitragen können. Es müsste deutlich mehr Bereitschaft geben, wohnsitzlose, psychisch erkrankte, suchtkranke Menschen mit sinnvollen Tätigkeiten einzubinden. So wird es auch etwas mit der guten Nachbarschaft.
Autor: Thomas Hohenschue