Nähe entsteht überall dort, wo Menschen ein Stück ihrer Aufmerksamkeit teilen
Familien feiern das Weihnachtsfest - manche liebevoll und vertraut, andere angespannt, erschöpft oder voll unausgesprochener Erwartungen. Und dann sind da die Krippendarstellungen, scheinbar zeitlose Bilder voller Harmonie: Maria und Josef, eng beieinander, das Kind im Mittelpunkt, Hirten und Weise, die andächtig näherkommen. Alles wirkt stimmig, friedlich, geordnet.
Doch das Leben malt viele verschiedene Krippenbilder. Für manche ist Weihnachten ein lautes, warmes Familienfest; für andere ein stiller Abend in einer leeren Wohnung. Wieder andere feiern gemeinsam, fühlen sich aber innerlich doch allein. Harmonie kann sein - muss aber nicht. Manchmal ist sie eine Figur, die wir aufstellen, obwohl sie im echten Leben fehlt.
Und trotzdem geht es in dieser Zeit auch um eine Hoffnung: um die Möglichkeit, einander wahrzunehmen, mit offenem Herzen. Das klingt oft idealistisch - und führt schnell zu Einwänden wie: "Da kann ja jeder kommen." Ein nachvollziehbarer Gedanke. Denn ein offenes Herz heißt nicht, dass jede*r ungefiltert eintreten darf. Es bedeutet nicht, sich schutzlos zu machen oder die eigenen Grenzen aufzugeben.
Ein offenes Herz ist kein ungesichertes. Es bedeutet vielmehr, eine grundsätzliche Haltung zu bewahren: bereit zu sein, Mitgefühl zu zeigen, ohne sich selbst zu verlieren. Offenheit mit Maß. Nähe ohne Selbstaufgabe. Ein Gegenbild zur Einsamkeit, das nicht naiv ist, sondern menschlich.
Vielleicht kann ein modernes Krippenbild genau das ausdrücken: dass Nähe nicht nur im Familienkreis entsteht, sondern überall dort, wo Menschen ein Stück ihrer Aufmerksamkeit teilen. Dass Zugewandtheit nicht grenzenlos sein muss, um wirkungsvoll zu sein. Und dass jeder Mensch - ob allein, in einer Familie oder dazwischen - ein Ort sein kann, an dem ein anderer für einen Moment ankommt. - Und vielleicht beginnt gerade darin die leise, echte Weihnachtsbotschaft unserer Zeit.
Pfr. Hannokarl Weishaupt
Unser Autor ist Erster Vorsitzender des Caritasverbandes für das Bistum Aachen und Bischofsvikar für das Caritaswesen.